Montag, 16. Dezember 2013

indisches Frühstück



Da ich versuchen will, Euch einen möglichst umfassenden Einblick in das indische Leben zu geben, muss ich nun auch einen Blogeintrag dem indischen Frühstück widmen.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich vor über einem Jahr auf dem Vorbereitungsseminar für die weltwärts-Zeit verzweifelt rauszufinden versuchte, was die Inder zum Frühstück essen. Ich konnte mir einfach keine Vorstellung davon machen, wie von so vielem anderen auch nicht. Die Leute, die ich dazu befragte, gaben mir nur wenig befriedigende Antworten und Rumgedruckse.
Also versuche ich nun mein Glück, es Euch zu erklären. Jetzt im Nachhinein sehe ich durchaus auch wie schwierig das ist. Verzeiht mir daher, wenn Ihr diesen Eintrag auch ein bisschen rumgedruckst findet.
Zuerst einmal ist das indische Frühstück selten süß und auch hier können die Inder oft nicht auf ihren geliebten Reis verzichten. Es gibt Dosa, das sind Fladen aus Reismehl und Wasser. Entweder gibt es dazu Sambar, eine Soße aus Gemüse, oder Chutney, eine breiartige Masse aus Kokusnuss, Gewürzen und Wasser. Meine Aunty hat mir damals sogar manchmal Fisch Curry dazu serviert. Dosa gibt es in vielen verschiedenen Arten. Je nachdem, was noch in den Dosateig gemischt wird, sind sie dick, süß, grün oder andersartig. Außerdem können sie zu Masala Dosa gerollt mit einer Kartoffel-Zwiebel-Matsche gefüllt werden. Oder als Paper Dosa weit über den Tellenrand hinausreichen. Im Onion Dosa findet man manchmal kaum noch das eigentliche Dosa vor lauter Zwiebeln. Es gibt wie gesagt viele Variationen.
Des Weiteren gibt es noch Idly. Das sind fluffige Reisbällchen, die aus dem gleichen Teig wie Dosa bestehen und gedämpft werden. Auch davon gibt es verschiedene Arten, die sich vor allem in der Konsistenz unterscheiden. Dazu isst man das Gleiche wie zu Dosa: Sambar oder Chutney. Idly gibt es meist in Kombination mit Wada. Das sind Reis-Kokusnuss-Ringe, die in einem Teigmantel fritiert werden. Tatsächlich sehen sie aus wie Donouts, mit einem Loch in der Mitte.
Außerdem gibt noch Puri, Weizenfladen fritiert, sodass sie sich aufblähen. Auch dazu Sambar oder Chutney. Oder beides. Diese sind ziemlich fettig.
Etwas, dass ich ganz besonders mag, sind Buns. Runde, süße, handgroße Fladen. Gemacht aus Joghurt, Weizen und noch anderen Dingen, von denen ich keine Ahnung hab. Dann fritiert gehen sie genauso auf wie Puri, sodass sie kugelrund sind. Besonders köstlich sind Banana Buns.
Meine Aunty hat manchmal kleine feste Reis-Kokusnuss-Bällchen gemacht, die sie Mudly nannte. Aber ich hab diese woanders auch schon unter anderem Namen gegessen. Sie bestehen fast nur aus Kokusnuss und bei meiner Aunty haben wir die immer in Tee eingetunkt.
Es gibt noch Avalakki, ein Gemisch aus flachgepressten Reisflocken, Kokusnuss und Jaggery (einer braunen Masse, vermutlich aus Zuckerrohr, die unglaublich süß ist und für viele süße Spezialitäten hier verwendet wird). Diese Zutaten werden gemixt und wenn das Avalakki dann zu trocken ist, kippt man einfach ein bisschen Tee dazu. Das hab ich jedenfalls immer so gemacht.
Etwas ähnliches wie Avalakki ist Uppittu. Das ist ein wenig wie Grieß, wahrscheinlich ist es aber wieder irgendeine Abwandlung von Reis. Auch Uppittu kann auf verschiedene Arten zubereitet werden.
Und schlussendlich essen manche auch einfach Reis zum Frühstück. Auf verschiedene Arten zubereitet und in Konsistenz, Geruch , Farbe und Namen varierend. Reisbath, Puliogare und vieles mehr. Natürlich kann man auch das Gleiche wie zum Mittag und Abendessen verspeisen: Annasambar (Reis und Sambar).
Das allerwichtigste für viele Inder ist allerdings der Tee, der zu 50 % aus Zucker, zu 35% aus Milch oder Milchpulver und zu 15% aus schwarzem Tee zu bestehen scheint. Verfeinert werden kann er mit allerhand Gewürzen: Ingwer, Lemongrass oder Kardamom.
Ich hoffe, Ihr könnt Euch jetzt so einigermaßen vorstellen, wie das indische Frühstück aussehen kann. Es gibt bestimmt noch viel mehr, was ich vergessen oder noch nie gesehen habe. Deshalb wird Frühstücken in Indien immer eine aufregende Sache für mich bleiben. 

Sonntag, 8. Dezember 2013

Die Stecknadel


Situationen können sich innerhalb nur weniger Sekunden verändern. Meist kann sich später keiner mehr so richtig daran erinnern, wie es dazu kam. Im einen Moment ist es noch eine lustige ausgelassene Stimmung, im nächsten Augenblick herrscht Unsicherheit und Angst.
Hier nun meine Erfahrung aus dem indischen Krankenhaus, die ich niemandem wünsche. Jetzt fallt aber nicht gleich vom Stuhl. Im Nachhinein ist die Geschichte ziemlich lustig, also macht Euch keine Sorgen. Mir geht es wieder blendend.
Es war ein ganz normaler Nachmittag. Ich saß mit Harish auf dem Sofa und probte mit ihm sein Interview für die Visabeantragung. Nebenbei steckte ich ein Top ab, um es ein wenig abzuändern. Nach einer Weile wurde das Interview immer haarsträubender und Jyothi, die in der Küche herumwerkelte, und ich lachten herzlich über die Antworten Harishs. Als er dann schließlich mit ernster Miene erklärte, dass sein Vater und mein Vater eigentlich beste Freunde seien, konnte ich mich vor Lachen nicht mehr halten. Und da geschah es. Ich verschluckte die Stecknadel, die ich mit meinen Zähnen festhielt.
Ich merkte wie sie in meinem Hals hinunter glitt. Anfangs versuchte ich sie noch herauszuwürgen. Nachdem aber alle Versuche vergeblich waren und ich mittlerweile ein wenig Beunruhigung ob der spitzen Nadel in meinem Körper verspürte, beschlossen wir ins Krankenhaus zu fahren.
Die Notaufnahme des Manipal Hospitals, das nur wenige Minuten von unserer Wohnung entfernt war, war relativ leer. Und schon nahm sich eine nette Schwester meiner an, die halb erschrocken, halb belustigt auf die Nadel in meiner Hand schaute, als ich ihr erklärte, dass ich genau solch eine verschluckt hatte.
Sie brachte mich zum Röntgen. Auch der Arzt dort schaute mich verwundert an und der Vater einer kleinen Patienten deutete auf mich und sagte "Sieh mal, sie hat eine Nadel verschluckt, das ist noch schlimmer als bei dir". Ich lächelte dem Mädchen freundlich zu, das mich nur mit großen Augen ansah.
Harish und Ranju warteten rechts und links von mir sitzend auf den Arzt, der uns anhand der Röntgenbilder erklären sollte, wie es weitergehen sollte. Ich war nervös, aber Harish versuchte mich scherzend zu beruhigend.
Endlich kam der Arzt und sagte, es sei ziemlich ernst, weil die Nadel so spitz sei und sie mittlerweile im Magen war. Sie könnte jede Art von Schaden anrichten und er würde jetzt den Chirurgen kontaktieren. Mir war mittlerweile ganz schlecht vor Angst, was der Arzt wahrscheinlich in meinem Gesicht sah. Er sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, was mir nicht leicht fiel, da sein Gesicht genau meine Beunruhigung widerspiegelte.
Eine Weile später wurden wir in ein anderes Krankenhaus geschickt, weil der Gastrologe, der versuchen sollte, die Nadel mit einer Endoskopie zu entfernen, nicht erreichbar war.
Kurz nach halb zwölf kamen wir im anderen viel größeren und unheimlicheren Krankenhaus an. Dort kümmerte sich niemand so richtig um mich und als dann doch eine junge Ärztin mit unglaublich langen Haaren mit mir sprach und mir mitteilte, dass ich nach der Gastroendoskopie noch einen ganzen Tag lang dort bleiben sollte, fühlte ich mich wirklich schlecht. Ich hatte weder Schmerzen noch irgendwelche anderen Beschwerden, nur Angst. Ich war übrigens vorher noch nie im Krankenhaus gewesen, jedenfalls nicht für eine Behandlung. Mein Gefühl gegenüber Krankenhäusern, dass man dort so wenig Zeit wie möglich verbringen sollte, wenn es sich vermeiden ließ, verstärkte sich je länger ich dort war. Der Gastrologe sah mich noch nicht einmal an, als er mit uns darüber sprach, was nun zu tun war, obwohl ich ihn wohl besser verstand als Harish oder Ranju.
Erneut machten sie Röntgenaufnahmen und an der Scheibe drückten sich fünf weitere Ärzte die Nasen platt. Als ich wieder unnötiger Weise in den Rollstuhl komplementiert worden war, fragte mich einer von ihnen spöttisch, wie ich denn eine Stecknadel verschluckt haben konnte. Ich schaute in sein grinsendes Gesicht und sagte mit todernster Stimme "I swallowed it ACCIDENTLY" Blöder Arzt, ha ha sehr witzig. Mir war überhaupt nicht zum Scherzen zumute und ich hatte auch keine Lust, es noch tausend anderen Leuten zu erklären. Ich war eher mit meiner Angst beim Gedanken an die bevorstehende Endoskopie beschäftigt.
Ich hatte keine Zeit mehr mit Harish und Ranju zu reden. Sie hätten mir möglicherweise ein wenig meiner Angst nehmen können. Die Endoskopie war schrecklich, die ganzen 20 Minuten über, die mir wie mehrere Stunden vorkamen, hoffte ich, dass es endlich vorbei sein würde. Abgesehen davon, dass es nicht angenehm war, einen fetten Schlauch in den Hals geschoben zu bekommen, beunruhigten mich mehr die Kommentare der Ärzte. Der leitende Arzt ließ mehrmals verlauten "OH MY GOD!". Das heiterte mich so richtig auf. Nach dem, was ich mitbekam, hatten sie die Nadel dreimal gefasst, sie aber wieder fallengelassen. Das lief dann so ab, wie bei einem Sportevent.
"Now catch it!" -"come on, come on! Yeah, I got it..." Freudenrufe der Umstehenden. Gespannt hatten alle ihre Augen auf den Bildschirm geheftet. "slowly slowly, come on!" - "Uuuh SHIT!" Die Zuschauer stöhnten auf, der Catcher wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Ich war ein einziges Nervenbündel. Warum ließ der blöde Arzt die Nadel immer wieder fallen und schlimmer noch, warum sagte der andere Arzt ständig Oh my god. Ich war ganz schön sauer auf ihn, konnte er das mal lassen. Das trug nicht gerade zur Besserung meiner Stimmung bei.
Beim vierten Versuch schafften sie es endlich und ich war erleichtert diesen Schlauch endlich loszuwerden. Als sie sich alle aufgeregt über ihre geleistete Arbeit unterhielten und sich gegenseitig auf die Schultern klopften, war ich doch ein bisschen stolz auf sie. Der Arzt meinte nur zu mir "God bless you, it´s done". Anscheinend war es komplizierter gewesen als sie angenommen hatten.
Ich war zwar froh, dass die Nadel endlich draußen war, aber auch mit den Nerven ziemlich am Ende. Ich konnte kaum sprechen und Hari und Ranju machten sich Sorgen, dass irgendetwas schief gegegangen war. Mit schwacher Stimme sagte ich nur zu Harish "ich will nicht hier bleiben!" Zum Glück veranlasste der Arzt meine Entlassung.
Nun kam es mir nicht mehr allzu schlimm vor, dass sich alle darüber lustig machten. Ich konnte zwar immer noch nicht darüber lachen, als sie sagten, das sei eine sehr teure Stecknadel und ich solle sie unbedingt aufheben. Ich war einfach nur froh, dass es vorbei war. 

Dienstag, 19. November 2013

Zur Post


Heute war ich auf dem Weg zur Post und während ich mich so in meiner wohlbekannten Umgebung umsah, wurde mir klar, dass mir das alles vor einiger Zeit selbst sehr fremd war. Dass ich nicht immer so selbstverständlich durch Indiens Straßen gegangen war. Dass es eine Zeit des Wunderns und Staunens gab. Dass meine Augen mittlerweile indisch geworden sind. Und plötzlich dachte ich an Euch zu Hause in Deutschland und da war es wieder, das Staunen, das Wundern und das Bemerken kleinster Details. Nichts war mehr selbstverständlich.
Und so will ich mich nun mit Euch nochmal auf den Weg zur Post zu machen.
Ein später Nachmittag in einer indischen Stadt. Die Schule ist aus, Kinder spielen auf der Straße. Es ist angenehm warm. Vor unserem Haus treffe ich auf Sindhu. "Hi akka, Oota aytha?", nur in Indien fragen sie, ob man gegessen hat statt sich nach dem Wohlbefinden zu erkundigen. Das ist wohl gleichwertig. Sindhu nickt zufrieden als ich sie das Gleiche frage.
Ich biege nach rechts. Vor dem Hotel, wo wir oft Sambar kaufen, spielen die beiden Söhne des Besitzers. Den älteren der beiden sehe ich oft Zwiebeln schneiden oder Puris fritieren, Hotel heißt in Indien soviel wie Cantine. Der Jüngere ist der kleine Raja (König) unserer Straße. Mit seinen 3 Jahren, dem süßen Gesicht und seinem selbstbewussten Charme verzaubert er ausnahmslos jeden. Ich grüße ihn übertrieben "Hiiiiiiii Dhigaaaan!!!" Er grinst und ahmt meinen Gruß nach.
Am Gemüse-Shop vorbei biege ich an der Ecke mit der Cafe Junction ab, einem Shop an dem man zu jeder Tageszeit Männer ihren Chai schlürfen sehen kann. An der Garage vorbei, wo sie jegliche Schmiedearbeiten verrichten. Der Besitzer erkennt mich und nickt mir zu, er hat uns etliche Male geholfen, als das Kabel aus unserem Stromzähler rausgefallen oder durchgebrannt war. 
Diese Straße ist belebter als unsere. Rikschas, Motorräder und Autos quetschen sich aneinander vorbei, nicht ohne das obligatorische Hupen. Auf eine Kreuzung zufahrend bedienen sie statt der Bremse die Hupe. So etwas wie eine Ordnung scheint es nicht zu geben, die lauteste Hupe gewinnt.
Rechts und links leuchten die bunten Schilder der Shops. Manche Läden sind zugeklastert mit roten und gelben Vodafone, airtel und idea Schildern, die zum sim-Karten-Aufladen auffordern. Dahinter verbergen sich dann doch mehr als nur Handytarife. Diese Shops haben oft alles von Zucker über Seife bis hin zu Bleistiften.
Von der anderen Straßenseite weht mir ein köstlicher Geruch entgegen. Ein geschickter Koch versorgt einige Umstehende mit würzigen Snacks von seinem Straßenwagen. Der Geruch lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, obwohl ich nicht ausmachen kann, was er dort verkauft. Leider habe ich keine Zeit, nachzusehen, die Post macht nämlich schon um 5 zu.
Als ich den Blick an den Häusern empor schweifen lasse, begegne ich den Blicken zweier Frauen, die sich angeregt auf dem Treppenansatz unterhielten und mir nun neugierige Blicke zuwerfen. Ich lächle leicht, sie erwidern mein Lächeln. Mein Blick zieht weiter über bunte zum Trocknen aufgehängte Wäsche zu einer großen Werbetafel, auf der Shahrukh Khan Wandfarbe anpreist. Komisch, letztens habe ich ihn noch auf einem Mangosaft-Trinkpäckchen grinsen sehen.
Die Straße macht einen kleinen Knick und mündet in einen holprigen Sandpfad, auf dem ein verstruppelter Hund meinen Weg kreuzt. Er scheint keine Notiz von mir zu nehmen und während ich in Deutschland manchmal die Straßenseite wechsle, wenn mir ein Hund entgegen kommt, tue ich es hier dem Hund gleich. Er geht seinen Weg, ich meinen. Indische Hunde sind mir irgendwie lieber als deutsche.
Als ich das Gesicht von Brad Pitt sehe, weiß ich, dass ich fast da bin. Brad schaut mit seinem Hundeblick und kurzen Haaren von einem Aushängeschild eines Friseurs auf mich hinab. Das Bild hat schlechte Qualität und ist vermutlich aus den neuzigern. Gleich daneben ein ebenso vertrautes Gesicht. Britney Spears mit ihrem gekünstelten Lächeln und einer blonden Mähne, die keiner Inderin so recht stehen würde. Anders als das Bild von Britney, mag ich das Bild von Brad "Ach hi Brad, schön dich zu sehen!"
Die Post ist beunruhigend leer. Es ist doch erst four-thirty, wo sind denn alle? Doch da am Briefmarkenschalter sitzt die mir schon bekannte Beamtin in ihrem üblichen braunen Sari, ihrer Uniform. Sie lächelt, nimmt meinen Brief, legt ihn auf die Wage und sagt "Aid Rupai!" Dabei macht sie mit der Hand eine Bewegung wie ein zuschnappendes Krokodil. Sie ist sich offenbar nicht sicher, ob ich verstanden habe, dass ich 5 Rupien zu zahlen habe. Ich habe aber auch meine Zweifel, ob jemand, der die Zahlworte nicht kennt, versteht, dass das mit fünf Fingern zuschnappende Krokodil "fünf" heißt. Wie auch immer, ich wackel mit dem Kopf, lege eine 10 Rupien Note auf den Schalter, mache ein verzweifeltes Gesicht und sage mit entschuldigender Miene "change illa". Als ob es meine Schuld wäre, dass ich keine 5 Rupien in Münzen hätte, aber das kommt immer gut an.
Die Briefmarke bestreiche ich unbeholfen mit einem ausrangierten Kugelschreiber, der in einem beschmierten Topf voller Flüssigkleber steckt. Ich hab es bis jetzt noch nie geschafft, mich dabei nicht einzusauen.
Den Brief einsteckend passiere ich den Briefkasten vor der Post und mache mich auf den Rückweg. Nun wieder mit indischen Augen. Eigentlich ist das alles doch recht unspektakulär. Normal halt. 

Der indische Shop


Hier nun einige Worte zum Phänomen "indischer Shop". Soetwas sollte es auch in Deutschland geben. Klar, meine Mama würde jetzt sagen, das gab es doch früher. Der Tante Emma Laden oder war es Erna? Egal. Hier heißen die Shop-Besitzer weder Emma noch Erna, sondern eher Prakash, Anil oder Roshan und ich nehme an, dass ihre Shops sich auch sonst in Einigem unterscheiden.
Meist sind sie nur ein paar Quadratmeter groß, gerade so dass man sich nur einmal um sich selbst drehen muss, um an alles heranzukommen. Es gibt naürlich auch größere Luxus-Ausführungen, die wohlmöglich sogar einen Kühlschrank haben.
Diese Shops erkennt man meist schon von Weitem, weil die bunten Chipstüten, die draußen drapiert sind, förmlich schreien "Hallo hier ist ein Shop und hier gibt es alles, was dein Herz begehrt!" Und das kaum übertrieben.
Chips, Snacks, Kekse (meist ist das ganze untere Schaufenster vollgestopft mit Keksen), Schokoriegel, Kaugummi, indisches Gebäck, Zucker, Salz, Mehl, Milch, Milchpulver, Joghurt, Öl, Teigmischungen, Gewürzmischungen, Pickle (die meisten Inder stehen extremst auf Pickle; aus Tomaten, Mango oder Zitrone gemachte sehr sehr saure Matsche, meist rot), getrocknete Früchte, Nüsse, Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch, Chilischoten, Bananen, Zitronen, Petersilie und andere Kräuter, Nudeln, Ghee, Eier, Brot, Saft, Kornflakes, Shampoo, Crémes, alle möglichen Kosmetikartikel, Hygieneartikel, Seife, Schwämme, Schrubber, Lappen, Kerzen, Dochte, Streichhölzer, Räucherstäbchen, Kumkum, Zigaretten (oft einzeln verkauft), Zeitungen, Eimer, Glühbirnen, Stifte, Hefte, Anspitzer, Radiergummis, Regenschirme (natürlich nur während des Monsuns), Prepaid-Aufladung und noch viele andere Sachen, von denen ich entweder nicht den Namen weiß oder sie noch nie gebraucht habe und deshalb nicht mal weiß, dass es sie in den Tiefen eines solchen Shops geben könnte. Das Allerwichtigste sind aber Chocolates (Bonbons), die einen aus Plastikschraubgefäßen anlachen und gerne auch mal als Wechselgeld herausgegeben werden (nebenbei gesagt  auch in großen Supermarktkassen liegen statt 1 und 2 Rupie Münzen von Zeit zu Zeit Chocolates)
Was außerdem größte Freude bereitet ist das Einkaufen in einem solchen Shop. Da fühle ich mich immer in meine Kindheit versetzt. Das ist wie Kaufmannsladen spielen. "Dann nehme ich noch ein halbes Kilo Zucker, zwei Tomaten und ein Trinkpäckchen!"
Ich hab hier schon meinen Lieblingsshop. Die Frau da freut sich immer, wenn ich ein bisschen Kannada rede und strahlt mich immer schon von Weitem an. Bald kann ich bestimmt auch sagen "Das Übliche bitte!" Darauf freue ich mich schon. Hahahahah
Vielleicht hört Ihr meine Begeisterung für diese Art von Shops heraus. Wie schon gesagt, es sollte sie auch in Deutschland geben. Am besten gleich unten in meinem Haus. Der würde dann schön an mir verdienen. 

Dienstag, 12. November 2013

Kushi


In der Zeit, in der ich jetzt schon wieder hier bin, habe ich gelernt , was echte Freude ist. Ich habe das Gefühl, dass es zu Hause kaum noch aufrichtige Freude gibt. Es liegt einfach daran, dass wir alles haben und machen können. Ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Überfluss nichts mehr richtig wertschätzen können. Dass unsere Träume an die Grenzen des Unmöglichen stoßen und wir nie mit dem zufrieden sind, was wir haben und immer noch nach Besserem streben. Und in diesem Streben vergessen wir, uns wirklich über Dinge zu freuen. So ging’s mir jedenfalls.
Diese pure Freude habe ich ein paar Tage nach Deepavali erlebt. Ranju erzählte mir von ihrem Wunsch, irgendwann mal zu KFC zu gehen. Ich fragte sie, warum sie sich diesen Wunsch noch nicht erfüllt hatte. Nach allem, was sie gehört hatte, war KFC für sie zu einer Art Mythos geworden. Aber sie traute sich nicht einfach so dorthin zu gehen, in diese andere Welt, in der sie sich selbst so fremd fühlte. Als ich ihr vorschlug, am Abend mit ihr und Divya dem Mythos auf den Grund zu gehen, lehnte sie verlegen ab. "Ich bin doch nur ein Mädchen vom Dorf, das ist da alles zu schick für mich"
Aber anscheinend ließ sie diese Idee nicht mehr los und so machten wir uns zu dritt an einem Abend auf zu KFC, das nur einen Katzensprung entfernt an der Hauptstraße gelegen war. Ranju und Divya waren ganz aufgeregt und machten sich extra hübsch. Sie waren so voller Vorfreude, dass sie selbst mich damit ansteckten. Ich war selbst noch nie bei KFC gewesen und nun hatte auch ich das Gefühl, es sei etwas besonders Außergewöhnliches.
"Tanja, du gehst vor!" Auch ich war ein wenig verlegen als wir das fast leere Restaurant betraten. Aber als die Frau am Schalter freundlich unsere Bestellung aufnahm, legte sich dieses Gefühl. Während wir auf unser Essen warteten, suchten Ranju und Divya gewissenhaft unseren Tisch aus. Es sollte alles perfekt sein und schließlich saßen wir an einem Ecktisch und genoßen das Chicken und den kalten Kaffee, der eine besondere Attraktion für die beiden war.
Auf dem Weg nach Hause stellten wir zwar fest, dass das Chicken nichts großartig besonderes war, aber es war immer hin Kentucky Fried Chicken. Den ganzen restlichen Abend gab es kein anderes Thema und allen Anrufern wurde ausgiebig von dem Abenteuer KFC erzählt. Ich freute mich darüber, dass ich den beiden eine Freude gemacht hatte.
Ich fragte sie, ob sie glücklich seien. Die beiden unterbrachen ihr aufgeregtes Wasserfallgerede, sahen mich mit leuchtenden Augen an und sagten nur  "yes, full kushi!" 

Das Lichterfestival


Es fühlte sich an wie Weihnachten aus meiner Kindheit. Tagelang war einziges Gesprächsthema das große Fest und mit Freude erwartete ich, dass es endlich soweit sein würde.
Ich hatte Deepavali (Deepa-Kerze, also Lichterfestival) schon letztes Jahr miterlebt, aber am gleichen Tag hatten wir unsere erste DanceShow, weshalb ich das Fest nur vom Fenster eines Busses aus bewundern konnte. Diesmal sollte es eine ganz andere Erfahrung werden. Ranju, Harishs Schwester, und Divya, mit denen ich im Moment hier in Bangalore wohne, steckten mich mit ihrer Vorfreude an. Deepavali ist eines der größten Hindu-Festivals und so fühlte es sich für mich auch an. Am Abend vorher ließ ich mir erklären, wie sie zu Hause mit ihren Familien das Fest feiern würden.
Ganz früh morgens wird der ganze Körper mit Öl eingerieben und danach wird ein heißes Bad genommen. Danach werden alle gesegnet mit Kerzen und Kumkum und dazu gibt es Gulab Jammun, eine Süßigkeit. Zu Deepavali tragen alle neue Kleider und am Abend wird Feuerwerk gezündet. Sobald es dunkel wird, werden außerdem um das ganze Haus herum Kerzen aufgestellt, was dem Fest seinen Namen gibt.
Ranju ist keine Frühaufsteherin und Gulab Jammun mag sie auch nicht. Also wandelten wir das ein bisschen ab. Nach einer kurzen Dusche machten wir uns beide fertig, nicht mit neuen, aber den schönsten Kleidern, die wir hatten. Zuerst machten wir uns auf dem Weg ins Krankenhaus. Die alte Vermieterin von Ranju hatte ein Kind bekommen, das wir nun bestaunen und zu dem wir die Eltern beglückwünschen wollten. Auf dem Rückweg kauften wir Blumen für Gott und dekorierten den Schrein zu Hause entsprechend. Anlässlich des Feiertages schmückten auch wir uns mit Blumen. Ich liebe es, wenn indische Frauen Blumen im schwarzen gestriegeltem Haar haben. Dieser Duft von Jasmin wird mich immer an die Schönheit der Inderinnen erinnern.
Außerdem beschlossen wir zur Feier des Tages Payasa zu machen. Manche von Euch haben mich vielleicht schon von Payasa schwärmen hören, aber ich werde nie müde mit Begeisterung von dieser Köstlichkeit zu sprechen. Payasa ist eine Art Brei, bestehend aus Milch, feinen Nudeln, einer Unmenge Zucker, Cashewkernen, Rosinen, einer Art Sago und Kardamom. Es gibt unendlich viele Rezepte und ich habe unendlich viele davon schon probiert. Als quasi-Spezialist konnte ich also die Güte unseres vorzüglichen Payasas durchaus schätzen :) Mmh schon allein der Gedanke daran lässt mir wieder das Wasser im Mund zusammenlaufen. Hahaha.
Später kamen noch Freunde vorbei, mit denen wir einen schönen Nachmittag verbrachten. Als sie sich auf den Heimweg gemacht hatten und es allmählich dunkel wurde, beteiligten wir uns ebenfalls am Feuerwerksspektakel, das bereits am Tag zuvor begonnen hatte. Ranju hatte von ihrem Chef ein paar Wunderkerzen, Fontänen und Feuerkreisel geschenkt bekommen. Zusammen mit den netten Typen aus dem Erdgeschoss zündeten wir diese. Alle wünschten sich "Happy Diwali" und Sweets wurden ausgetauscht. Anscheinend schmeckte ihnen unser Payasa auch, wie gesagt ich kann die Güte von Payasa mittlerweile schon sehr gut einschätzen (in schwelgender Erinnerung an die Payasa-Skala, die ich zusammen mit Jana aufgestellt hatte).
Den restlichen Abend verbrachten wir auf unserem Treppenabsatz, von wo aus wir sowohl das Feuerwerk in unserer Straße als auch die bunten Explosionen am schwarzen Nachthimmel bewundern konnten. Die Bangaloreaner fuhren zu Höchstleistungen auf. Es war keine einzige Sekunde still, der Geruch von Silvester zog durch die Straßen und der Himmel schien nicht genug für die unzähligen Sternenschauer.
Als die Kinder aus der Straße in ihren Betten verschwunden waren, legten die großen Jungs erst richtig los. Unsere neuen Freunde aus dem Erdgeschoss hatten Freunde eingeladen. Die Straße war schon bald erfüllt von ohrenbetäubendem Krachen und herzerschütternden Explosionen und dem ausgelassenen Lachen der Männer, die sich freuten wie kleine Jungs. Es war wirklich witzig, ihnen zuzusehen und sie fühlten sich anscheinend nur noch mehr angestachelt durch die drei Mädchen, die lachend an das Geländer des Treppenabsatzes gelehnt sehr leicht zufriedenzustellende Zuschauer waren.
Mit einem Gefühl, dass ich nur kannte wenn Heiligabend vorbei war. Einerseits große Zufriedenheit, aber auch Traurigkeit, dass es schon vorbei war. Aber genau wie Weihnachten nicht mit Heiligabend vorbei ist, war auch Deepavali noch nicht vorbei.
Am nächsten Tag hatte Ranju frei. Wir verbrachten einen schönen Tag zusammen, schwelgend in Erinnerungen an das Spektakel am Vortag. Am Nachmittag kam Divya dann von der Arbeit und überraschender Weise auch unser neuer Freund Rajesh aus dem Erdgeschoss. Er brachte die Payasa-Schüssel zurück und wir quetschten ihn aus. Wo er herkomme, was er so mache, wie ihm Deepavali gefiele und wer diese ganzen Freunde waren…
Ranju und ich hatten Deepas gekauft, kleine Tonschälchen, die mit Öl gefüllt und einem getränkten Docht angezündet werden konnten. Diese platzierten wir auf unserem Fensterbrett und so war Deepavali perfekt. Mit einer Menge neuer schöner Erinnerungen, ein wenig tauben Ohren und ein paar neuen Freunden war es nicht gerade das traditionelle Deepavali, aber es war unser ganz eigenes. 

Dienstag, 5. November 2013

18. oktober


Mich hat es erwischt. Ich bin krank und habe seit drei Tagen Fieber. Nichts, worüber sich indische Ärzte Sorgen machen. Ich nehme Tabletten, trinke und schlafe viel und pflege mich so gut ich kann. Macht Euch keine Sorgen. Mir geht´s nicht wirklich schlecht, abgesehen von der Schwäche, bin ich topfit. Jedenfalls im Geiste. Ich sehe alles um mich herum und habe das Gefühl die Welt dreht sich langsamer. Die Tage dauern Ewigkeiten, wie in Zeitlupe sehe ich die Menschen in unserer Straße ihren Geschäften nachgehen. Jeder hat etwas Besonderes an sich und fasziniert mich schon allein durch bloße Anwesenheit. Kleinste Details erregen meine Aufmerksamkeit und ich lasse meine Gedanken schweifen, weit hinaus über die Dächer unseres Blocks, über die Grenzen dieser riesigen Stadt.
Wenn ich nicht gerade schlafe und absurde Träume habe, beobachte ich Mister Alfredo wie er Reisstückchen aus unserem Müll fischt. Oder ich freue mich wie seine Kinder auf dem gegenüberliegenden Dach Fangen spielen. Mister Alfredo ist ein Streifenhörnchen. Aber ich habe auch menschliche Freunde ;)
Die Kinder in der Straße kennen mich schon und vom Sehen kenne ich sie auch alle. Manche grüßen mich sogar, wenn ich auf dem Weg zum nächsten Shop bin, um Bananen oder Tea Powder zu kaufen. "Bye Tanyakka" (akka heißt so viel wie große Schwester). Ihr Lieblingsspiel scheint es zu sein, wie irre mit dem einen Fahrrad, das sie haben, die Straße rauf und runter zu sausen, um dann aufgefordert zu werden ihre Fahrerlaubnis zu zeigen. Die imaginere Erlaubnis wird schnell rausgeholt und noch ein paar ebenso imaginere Geldscheine. Dann geht die Fahrt weiter nicht ohne das dazugehörige Motorengeheul. So läuft das also, gut zu wissen.
Es ist nie ruhig. Aber es ist wundervoll. Ich habe das Gefühl mittendrin zu sein. Die sich immer wiederholenden Lieder, die vom Kino gegenüber herübertönen, kann ich mittlerweile auch schon. Das vehemente Klingeln der Glöckchen, wenn im Nachbarhaus morgens und abends Pooja ist (Pooja ist das Gebet der Hindus), ist irgendwie beruhigend. Die Rufe des Muezzins zeigen mir, dass der Tag doch irgendwie voranschreitet. Die Gesprächsfetzen, die ich von der Straße aufschnappe, lassen mich meine wenigen Kannada-Kenntnisse nicht ganz vergessen. Der Verkehrslärm, der von der Hauptstraße herüberschallt erinnert mich daran, dass ich in der Großstadt bin. Das leise Klimpern der Fußkettchen, wenn eine Frau die Straße durchquert, klingt wie Musik für mich. Aber am schönsten ist es, die Kinder reden, spielen und lachen zu hören.

Bald gibt es etwas ueber meine Erlebnisse vom Diwali-Festival zu lesen, einem der groessten Festivals der Hindus... 

bis bald 

Montag, 14. Oktober 2013

Zurueck zu mir selbst


Es ist merkwürdig, wie sich Dinge verändern, wenn man sie in einer anderen Zeit, in einer anderen Verfassung seiner selbst sieht. Ich habe den ganzen Tag im botanischen Garten von Bangalore verbracht, eine der wenigen Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Dieser Garten hat eine besondere Bedeutung für mich. Vor über einem Jahr war ich das erste Mal hier. An meinem allerersten Tag in Indien. Das war eines der ersten Dinge, die ich von dem Land zu sehen bekam. Ich erinnere mich daran, wie ich verwundert feststellen musste, dass dieser Park, gepflegt, ruhig und idyllisch, keinesfalls den wenigen Vorstellungen entsprach, die ich mir von Indien gemacht hatte. Nach der langen Reise und einer Ungewissheit über den Verlauf der Dinge, gab mir dieser Park ein wenig Luft zum Atmen, zum Durchatmen, bevor ich mich wieder ins bunte Getümmel des indischen Lebens warf und mich auf den langen Weg nach Kundapur machte.
Ich weiß noch, wie wir durch den Park liefen, ständig von indischen Familien fotografiert werden wollten und uns an der Vielfalt der Botanik erfreuten. Das erste Schöne, das ich in Indien sehe, dachte ich damals. Der Weg vom Flughafen zu unserem Guesthouse hatte diesen Titel wahrlich nicht verdient.
Heute also, mehr als ein Jahr später, wanderte ich wieder durch den Garten und war überrascht wie schön mir dieser Garten auch jetzt noch vorkam. Mit völlig anderen Augen betrachtete ich die bunten Blumen, die riesigen Bäume und die Streifenhörnchen, die an ihnen empor kletterten. Noch mehr als damals wusste ich die Sauberkeit und die Ruhe nun zu schätzen und war verzaubert von dem Glitzern des Sees und den breiten Alleen gesäumt von Bänken mit Pärchen, auf die durch dichtes Blätterdach vereinzelte Sonnenstrahlen fielen.
Die Menschen kamen mir weniger fremd vor als an jenem Tag, an dem ich in der Fremde ankam. Ihnen muss es genauso gegangen sein, denn niemand wollte ein Foto mit mir. Worüber ich ehrlich gesagt sehr froh, aber nicht überrascht war. Ich sah ihnen wahrscheinlich zu indisch aus, als dass ich es wert gewesen wäre ein Foto mit ihnen zu zieren. Hahaha, zum Glück.
Dennoch versuchte ein kleiner Junge verzweifelt, mir ein Trinkpäckchen für den fünffachen Preis zu verkaufen. Als er den Preis nannte, sah ich förmlich wie blöd er sich dabei vorkam. Ich scherzte mit ihm, verschmähte aber dennoch sein Trinkpäckchen. Der Arme tat mir Leid und ich hätte ihm das Ding sogar abgekauft, aber nicht für diesen Preis. Ich lachte nur und auch er musste grinsen.
Eigentlich war ich gekommen, um ein wenig zu zeichnen, meine Gedanken schweifen zu lassen und ein bisschen indisches Leben auf dem Papier festhalten zu können. Aber dazu kam ich nicht. Geschlagene 10 Minuten starrte ich mit dem Stift in der Hand auf mein Blatt, dann wieder in die Gegend, um schließlich einsehen zu müssen, dass es heute nichts mehr werden würde.
Stattdessen gab ich mich meiner Times of India hin, die aus mehr Werbung als aus wirklicher Information bestand. Die Seite über Globales bestand ebenfalls zur Hälfte aus Werbung, Neuigkeiten aus Syrien waren in einen fünfzeiligen Text an den Rand gequetscht. Ein wenig enttäuschend, aber nicht ärgerlich, da ich weniger als 10 cent dafür hatte bezahlen müssen. Vielleicht habe ich bei der nächsten Zeitung mehr Glück.
Ich verbrachte also den Tag lesend, Tagebuch schreibend und die Leute beobachtend. Meine Gedanken schweifen zu lassen, bekam ich auch ohne Zeichenblock auf die Reihe. Unter dem hoch über mir leise rauschenden Dach der Blätter, dachte ich viel nach und verfiel zuerst Hoch- dann Schwermut, um letztendlich beschwingten Schrittes und leichten Gemüts den Park zu verlassen.
Auf dem Rückweg ließ ich mich vor dem Post Office absetzen, dankte dem Rikshafahrer freundlich und fand es mehr als einfach, Briefmarken zu kaufen und sie mit dem braunen widerspenstigen, übelriechenden Kleber auf die Briefe zu batschen.
Auf dem Weg nach Hause, fühlte ich mich wirklich geborgen in dieser Stadt. Auch wenn es immernoch ein bisschen schwierig ist, die Straße zu überqueren ohne sich vor den aufheulenden Motoren und den wie irre rasenden Fahrzeuge zu fürchten. Aber allmählich lerne ich die Stadt besser kennen und habe kaum noch Schwierigkeiten, mich in ihr zurecht zu finden. Auch wenn es hier laut und dreckig ist, ich genieße den Duft der Großstadt, den Duft nach Freiheit. 

Zurueck im Land der Traeume


Das zu tun, was nicht von einem erwartet wird, ist schwierig. Vor allem, wenn man es gewöhnt ist, immer den Erwartungen entsprechend zu handeln. Vor allem, wenn es einem im ganzen Leben immer leicht gefallen ist, das zu tun. Ich bin jetzt in Indien und es geht mir gut. Es geht mir sogar ausgesprochen gut.
Schon als ich am Flughafen die schnurrbärtigen Inder und bunt in Saris gekleideten Inderinnen sah, fühlte ich mich wieder ein Stückchen zu Hause. Voller freudiger Erwartungen strömte plötzlich ein Gefühl durch meinen Bauch, wie ich es nur aus meiner Kindheit kannte. Das Gefühl, wenn ich auf einer Schaukel ins Unendliche zu fliegen schien und eben so schnell wieder dem Boden entgegensauste. Bei der Vorstellung wieder in Indien zu sein, traf mich dieses Gefühl vollkommen unerwartet. Doch so groß meine Vorfreude auch war, es war nicht einfach, die Menschen, die ich liebte in einer Verzweiflung und einer Ungläubigkeit zurückzulassen, wie ich es wahrscheinlich noch nie getan hatte. Es gab nie einen Grund, weshalb meine Familie nicht hätte stolz auf mich sein können. Ich war nie schlecht in der Schule oder hatte nie extreme Abstürze, hab mich nie schlecht benommen und war immer freundlich auch zu Leuten, die ich nicht leiden konnte. Ich wollte es immer allen Recht machen, niemandem Umstände bereiten. Ich wollte mich so verhalten, dass es anderen angenehm war.
Aber jetzt war es anderen keines Wegs angenehm, dass ich nach Indien zurückkehrte. Vor allem nicht für meine Eltern, die sich große Sorgen machten.
Aber ich hatte eine Entscheidung getroffen, die aus mir heraus kam. Es war das, was ich wollte. Es war das, was meiner Meinung nach das Richtige für mich war. Was nötig für mich war.
Und nun, nach meiner Ankunft hier, bin ich glücklich. Klar, ich mache mir immer noch Sorgen um die Menschen, die sich um mich sorgen, aber ich bin dennoch glücklich. Im wuselnden, lauten und bunten Indien, fühle ich mich seit Monaten das erste Mal wieder lebendig, inspiriert und neugierig. Ich fühle mich gut und das konnte ich in den letzten zwei Monaten wahrheitsgemäß nicht von mir behaupten.
Daher bereue ich es nicht, hier zu sein, entgegen aller guten und gut gemeinten Ratschläge.

Montag, 30. September 2013

"Oh man, das hört sich an, wie in einem Bollywoodfilm"

Sie schaute auf das weite Meer hinaus, die Wellen umspielten warm und angenehm ihre Füße. Ihr Atem ging gleichmäßig mit dem beruhigenden Rauschen. Nur hier, an diesem Ort, fand sie den Trost, nach dem sie sich sehnte. Nur hier konnte sie für sich sein und war doch nicht allein.
"Warum kommst du so spät? Was machst du eigentlich die ganze Zeit am Strand?! Was gibt es denn da für dich? Wasch dich und komm zum Essen!"
Schweigend aß sie und ließ sich danach erschöpft ins Bett fallen. Allein in ihrem Raum, in dem es unangenehm hallte, nachdem die Mutter das zweite Bett, nun unnötig geworden, weggeräumt hatte. Ein Gefühl von Einsamkeit machte sich in diesem Raum breit, der ihr nun fremder erschien denn jemals zuvor.
Seit dem Tag, an dem sie die Kontrolle verloren hatte, zog die Welt wie eine Art Film an ihr vorbei. Sie fühlte zwar ihren Körper, der automatisiert den Alltag bestritt. Doch ihre Gedanken waren ganz woanders. Der einzige Ort, an dem Körper und Geist wieder zu einem verschmolzen, war der Strand. Das war es, was es dort für sie gab.
"Hi! What´s your name? Where are you from? What are you doing here?" - "Hi!"
Sie hatte nicht sonderlich Lust, sich zu unterhalten. Dieser Ort war ihre Zuflucht. Auch hier nicht frei von den Fragen zu ihrer Herkunft und ihrer Beschäftigung zu sein, darauf wollte sie sich nicht einlassen. Dennoch antwortete sie dem Jungen, der sich aus einer Gruppe seiner Freunde herausgleöst hatte. Knapp, freundlich aber dennoch unmissverständlich waren ihre Antworten. Der Junge fragte nicht weiter, lief schweigend neben ihr her.
In den nächsten Tagen sah sie den Jungen am Strand, umringt von seinen Freunden. Sie fing an, über ihn nachzudenken, als er sie beim Namen nannte, was ihr nicht selbstverständlich vorkam. Was sie nicht erwartet hatte. So kam es, dass er sich zu ihr in den Sand setzte in einigem Abstand. Er ließ ein wenig Zeit verstreichen, bevor er began sie auszufragen. Auch wenn es nicht das war, was sie an diesem Ort suchte, war es doch eine willkommene Abwechslung und seit Langem fühlte sie sich wieder lebendig als er mit ihr sprach.
"Gibst du mir deine Nummer?" -"Nächstes Mal"
Es gab noch einige nächste Male. Sie dachte kaum an ihn, genoß es aber dennoch, wenn sie mit ihm zusammen war. Er empfand es scheinbar ebenso. Denn nachdem sie einige Tage nicht zum Strand gekommen war, brachte er seine größte Erleichterung darüber zum Ausdruck, dass sie wieder aufgetaucht war. Mittlerweile hatte sich eine Art Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Doch sie bemerkte erst, wie wichtig er ihr geworden war, nachdem er mehrere Wochen später, seine Liebe gestand. Sie wollte ihn nicht verlieren, wusste aber auch nicht, ob es Liebe war, was sie für ihn empfand. Sie bat um etwas Zeit.
Ohne Gedanken an Abschied oder Zukunft, gab sie schließlich dem immer wachsenden Gefühl in ihr nach. Mit ihm war sie wieder lebendig, konnte sie selbst sein, fühlte sich nicht mehr allein. In der darauf folgenenden Zeit waren sie beide so glücklich, wie nur frisch Verliebte es sein können.
Doch mit ihrer wachsenden Liebe, wuchs auch das Misstrauen, der Leute, die sie umgaben. Autoritäten, denen sie verpflichtet war, brachten ihr Missfallen über aufkommende Gerüchte deutlich zum Ausdruck. Sie wurde vorsichtiger, hatte das Gefühl, sich ständig verstecken und rechtfertigen zu müssen. Als der Druck von allen Seiten sie zu brechen drohte, passierte das, wovor sie sich so sehr gefürchtet hatte. Wieder verlor sie die Kontrolle. Erwacht aus ihrer Ohnmacht, strömte das Bewusstsein über ihre Lage mit voller Wucht auf sie ein. Abhängig von Autoritäten einerseits, abhängig von ihrer Liebe andererseits, sah sie sich vor einem scheinbar unlösbaren Konflikt. Fieber, Schweiß und Tränen bemächtigten sich ihres Körpers, Verzweiflung ihrer Gedanken. Unfähig, sich zu bewegen, lag sie in ihrem Bett, fühlte sich dem Leben ausgeliefert und so allein wie nie zuvor.
"Siehst du, ich habe es doch immer gesagt. Warum treibst du dich auch draußen rum? Du bist so ein hübsches Mädchen und nun hat es dich erwischt, der Teufel hat sich deiner bemächtigt. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen."
Hatte sie zuvor im Paradies geschwebt, war sie nun auf den harten Boden der Realität zurückgeholt worden. Und statt ihre labile Lage zu bemerken, nahmen sie die Autoritäten erneut ins Kreuzfeuer . "Gibt es wirklich nichts, was du mir sagen möchtest?!"
Ihre größte Angst war, den Jungen zu verlieren, den sie liebte. Nun war sogar die Angst vergessen, der sie zuvor erlegen war. Doch sie verlor sich nicht in dieser Angst, sie wusste, was sie wollte und war bereit, dafür zu kämpfen. Also entschloss sie sich dazu, sich mitzuteilen und zwar dem Menschen, dessen Willkür sie am meisten fürchtete. Auch wenn sie seinen Respekt für immer verlor, gewann sie diesen Kampf letztendlich doch.
Ihre Familie fand sie in einer Welt, die sich in Vielem von der ihren unterschied. Sie fanden sie als einen Teil dieser Welt, wenn auch nicht vollkommen. Und sie fanden den Jungen an ihrer Seite. Die gemeinsam verbrachten Tage waren die glücklichsten ihres Lebens. Sie war mit der Welt im Einklang. Später sollte sie sich noch oft an diese goldenen Tage des Glücks erinnern. Denn danach überkam sowohl den Jungen als auch sie eine große Traurigkeit. Der Abschied von der Familie machte ihnen zum ersten Mal bewusst, dass nichts von Dauer ist in diesem Leben. Ihre Zeit war bemessen. Was sich anfühlte wie für immer, sollte es wirklich schon so bald vorbei sein?
Sie suchten nach Möglichkeiten, zu umgehen, was so unumgänglich schien. Und tatsächlich fanden sie grüne Halme der Hoffnung, an die sie sich zu klammern suchten. Halme, die sie die Zeit genießen ließen, die ihnen zusammen in dieser Welt geblieben war. Es war eine Zeit, in der sie jeden Tag lebten, als wäre es ihr letzter. Eine Zeit, die sie einander so nah brachte, dass sie glaubte, ihn schon ewig zu kennen. Eine Zeit voller Lachen und selbst als der Regen kam voller Sonnenschein.
Doch der Tag kam, an dem sie verließ, was sie zu lieben begonnen hatte. Es fühlte sich nicht richtig an, den Jungen zurück und seinem Leid zu überlassen. Sein Schmerz war der ihre. Seine Tränen mischten sich mit denen auf ihren Wangen. Das Letzte war eine zitternde Hand zum Gruß erhoben, bevor sich der Blick zum Boden wandte auf die Schritte, die sie forttrugen in ein anderes Leben.
Dieses Leben schien unbegreiflich für sie. Wie ein Traum, an den man sich kaum noch erinnern kann. Ständig ihren Fingern entrinnend, je mehr sie versuchte es zu greifen. Statt zu leben, hing sie ihrer Sehnsucht nach, konnte sein Gesicht, seine Berührung, seine Stimme nicht vergessen. War gefangen zwischen zwei Welten. Lebte weder hier noch dort.

Bis zu dem Tag, an dem sie zurückkehrte in eine Welt mit ihm...


http://www.youtube.com/watch?v=GcwRnyUbseM


Mittwoch, 27. Februar 2013

Lebenszeichen

Lang lang ist´s her, dass ich mich gemeldet hab. Ich habe schon viele besorgte Mails bekommen, wo ich denn stecken und wie es mir gehen würde.
Deshalb jetzt hier ein Lebenszeichen von mir!

Ich kann gar nicht alles beschreiben, was so in den letzten Wochen alles passiert ist. Einfach Leben ist passiert denke ich.
Ich kann Euch ja einfach mal einen typischen indischen Tag von mir beschreiben.
7.35 Uhr: Meine Aunty unterhält sich in voller Lautstärke mit ihrer Schwester, die im Nachbarhaus wohnt. Und das direkt vor meinem geöffneten Fenster. Grummelnd drehe ich mich um und versuche noch ein bisschen zu schlafen.

8.00 Uhr: Krachend öffnet sich meine Zimmertür. "Taanjaaa... come!" Jetzt bin ich endgültig wach. Ich schlurfe aus meinem Zimmer und setze mich an den Frühstückstisch. Verschlafen grinse ich Aunty und Deryl an: "Good morning!"

8.15 Uhr: Nachdem ich mein Geschirr gewaschen hab, stehe ich in meinem Zimmer und denke gleichzeitig darüber nach, was ich heute anziehen und was ich mit den Kindern in der Schule machen soll. Beides schwierige Entscheidungen.

8.40 Uhr: Frisch geduscht und mit einem groben Plan für die Schule im Kopf, hole ich die Zeitung aus dem Briefkasten. "Was mache ich denn jetzt noch so lange bis 9.30 Uhr?!" Ich könnte Tagebuch schreiben oder noch ein bisschen lesen. Oder ich lege mich einfach noch für ne halbe Stunde hin ;)

9.10 Uhr: Oh mist, jetzt aber schnell, Zähneputzen, Schminken, Haare machen, Tasche packen.

9.30 Uhr: Ich stürze aus dem Haus, halben Weg zum Tor fällt mir auf, dass ich den Schlüssel vergessen hab, also nochmal zurück. Freundlch bekannte Gesichter begrüßen mich auf dem Weg zur Bushaltstelle, wo ich auf die Lehrer warten soll.

9.37 Uhr: Mist der Bus ist schon weg. Also laufe ich ganz schnell, um die Lehrer noch einzuholen.

9.45 Uhr: "Hi... Good morning... sorry!" stoße ich etwas außer Atem hevor. Wissendes Lächeln breitet sich auf den Gesichtern der Lehrer aus. "What was the breakfast today?" Während mich diese Frage anfangs noch irritierte, sage ich jetzt gelassen "Avalaki, matte niwu?" (Avalaki und bei Ihnen?)

9.55 Uhr: Prayer in der Schule. alle Schüler sind in Reih und Glied aufgestellt. Zuerst singen Mädchen aus der 7. und 6. Klasse aus vollem Hals die Hymne von Karnataka, danach wird ein Gebet gesprochen, etwas aus der Zeitung vorgelesen und ein Quiz gemacht. Zum Abschluss wird eine Art Schulbekenntnis gesprochen (soweit wie ich das verstehen kann, so von wegen, "ich werde fleißig sein und Lernbereitschaft zeigen... und so)

10.05 Uhr: Erstmal Zeitung lesen im Lehrerzimmer.

10.40 Uhr: Die Klingel ertönt. Zeit für mich, die vierte Klasse zu übernehmen. "madam" hier "madam" da und natürlich "please, madam, pleeeease!"

12.35 Uhr: Die Klingel ertönt zur Mittagspause. Ich korrigiere noch Aufgaben von Schülern, während mir einer der Schüler einen Teller mit Reis und Gemüse bringt. Wenn alle Lehrer da sind, essen wir gemeinsam

13.15 Uhr: Ich sitze im Lehrerzimmer, warte auf das Ende der Pause und versuche zu verstehen, worüber sich die Lehrer unterhalten. Das klappt mittlerweile ganz gut, immerhin weiß ich immer grob worum es geht.

13.30 Uhr: Und weiter geht´s  mit dem Unterricht. Diesmal die 5. Klasse

15.35 Uhr: Das erlösende Klingeln für alle Schüler. Jetzt fängt die Spielstunde an, in der sich die Schüler draußen frei bewegen und Fuß-, Volley-, Federball oder das Cashewnut-game spielen. Meistens spiele ich mit Sachin aus der 7. Klasse Volleyball.

16.00 Uhr: Die Klingel ertönt und die Kinder reihen sich wieder auf zum Prayer, bei dem die indische Nationalhymne gesungen wird. Danach strömen alle Kinder fröhlich schnatternd nach Hause. "Bye teacher, bye madam!"

16.20 Uhr: Ich komme erschöpft zu Hause an und Aunty erzählt mir fröhlich schnatternd von ihrem Tag. Dann gibt sie mir die Reste vom Frühstück zu essen.

17.30 Uhr: Ich mache mich auf zum Strand, ein Buch und Musik in der Tasche. Auf dem Weg treffe ich viele bekannte Gesichter. Na Hallo wie geht´s denn so. Ach gehste wieder zum Strand, na dann wir sehen uns ...

19.45 Uhr: Ich komme zu Hause an. Es ist schon dunkel. Ich suche ewig nach dem Schlüssel für´s Tor, gebe es aber irgendwann auf und klettere über die Mauer. Leise öffne ich die Tür und schleiche in mein Zimmer. Ich will Aunty und Deryl nicht bei ihrem Gebet stören.

20.15 Uhr: Es gibt Essen. Reis und Fishcurry mit Gemüse. Aunty redet mit Deryl. Für mich ist es schwer etwas zu verstehen, da Konkani eine komplett andere Sprache ist. Manchmal übersetzt Aunty dann für mich.

20.30 Uhr: Die tägliche Serie startet. Aunty und Deryl sitzen gebannt vor dem Fernseher. In den Werbepausen singen Deryl und ich gemeinsam die Jingles mit. Ich sitze in meinem Zimmer und schreibe Tagebuch, lese oder telefoniere...

22.00 Uhr: "Taaanjaa, put off the light!" Schnell noch Zähne putzen. Und dann checke ich noch kurz meine Mails und telefoniere lange. Was soll man auch anderes machen ohne Licht?!

Also jetzt wisst ihr wie´s hier so zugeht. Ich lebe noch, mir geht es sehr gut und ich genieße das indische Leben hier.

Bye und Tata
Eure Tani

Dienstag, 26. Februar 2013

das Stadtkind in geliebten Gefilden

Eine Woche Mumbai war genauso faszinierend wie aufregend.
Voller Erwartungen bestiegen Jana und ich den Zug und fuhren den Sonnenuntergang beobachtend Richtung Stadt, das ländliche und uns vertraute Indien verlassend, auf in ein großes Abenteuer. Nach einer kurzen Nacht im Zug kamen wir morgens in Mumbai an. Vom Bahnhof aus mussten wir jetzt nur noch den Weg zur Wohnung des Freundes von Janas Eltern finden, der seit 10 Jahren in Mumbai lebt und seit einigen Jahren mit einer Inderin verheiratet ist. Nachdem uns der Taxifahrer abgezogen und uns dann auch noch am falschen Ort rausgelassen hatte, kamen wir dann doch irgendwie ans Ziel und wurden herzlich von Christopher und Sushmita empfangen. Zuersteinmal luden sie uns zum Bagel-Frühstücken ein. Mmh lecker, aber so gar nicht indisch.

So ich werde nun versuchen Euch nahe zu bringen, wie ich Mumbai wahrgenommen habe. Es ist eher ein Gefühl, das ich zu beschreiben versuche, als Erlebtes. Das erste, das mir einfällt ist, dass Mumbai endlich mal wieder Stadt war. Mir war nicht klar, dass ich das Stadtleben so vermissen würde. Aber als ich laute Straßen, viele verschiedene Menschen und Geschäfte und Shops in allen Farben und Größen um mich hatte, fühlte ich mich wohl. Dass nach 10 die Stadt erst so richtig aufblühte und nicht wie zu Hause alles schon lange schlief, war mir als Nachteule natürlich besonders willkommen. Auch dass uns auf der Straße nicht alle, sondern nur einige Blicke folgten, war erfrischend. Eine Freiheit, die ich bisher nur in der Stadt habe genießen könnten, fühlte ich auch in dieser Stadt. Ich fühlte mich als wäre alles möglich. Ich fühlte mich inspiriert. Nicht zuletzt auch durch einen Theaterbesuch, der mich so sehr an zu Hause erinnerte, dass es schon beinahe surreal wirkte. Ganz Mumbai wirkte surreal. Ein kleines Stück zu Hause im großen unbekannten Indien.
Das Gefühl, dort zu Hause zu sein, habe ich aber auch ohne Zweifel Christopher und Sushmita zu verdanken, die uns sehr freundlich und freundschaftlich aufgenommen, uns hilfreiche Tipps gegeben und uns zu einigen Veranstaltungen mitgenommen haben. Schon alleine, dass wir die ganze Zeit Deutsch sprachen, war etwas in Indien Ungewohntes für uns.
Auch das Essen war nicht typisch indisch. Wie schon erwähnt die Bagels, dann Cornflakes und Früchte zum Frühstück, leckeren italienischen Brunch von vormittags bis nachmittags und als Höhepunkt das all-you-can-eat-Sushi- und Chinesisch-Buffett. In Christophers und Sushmitas Gesellschaft fühlten wir uns wie in einer europäischen Blase, die wir wieder zerplatzen ließen als Jana und ich alleine unterwegs waren. Mit indischer Gelassenheit schlenderten wir durch Straßen, die zweifellos an portugiesische oder Spanische Straßen erinnerten. Wir schauten Sehenswürdigkeiten wie das Gateway of India oder die University of Mumbai an und reihten uns in die langen Chai-Schlangen vor den Businessgebäuden ein. An Straßenständen tranken wir aber nicht nur etliche Male am Tag Chai sondern probierten uns durch alle möglichen Köstlichkeiten durch. Jana ist der Meister im Handeln und verdrehte jedem Shopbesitzer den Verstand mit ihrer Hartnäckigkeit. Aber am Ende waren sie doch immer sehr zufrieden und hatten ihren Spaß am Handeln, genauso wie wir :) Deshalb waren unsere Rucksäcke auch deutlich schwerer auf dem Rückweg.
Mit unseren Kannada-Kenntnissen kamen wir leider nicht sehr weit. Wenn wir dann aber doch mal ein freundliches Gesicht aus Karnataka trafen, gab es großes Hallo auf beiden Seiten. In Mumbai fiel mir die Vielfalt der Inder extrem auf. Man musste sich nur für einige Minuten auf den Bahnhof stellen und beobachten wie Massen von Menschen aus dem Zug strömten, dann war einem klar wie viele verschiedene Menschen es nich nur in Indien, sondern auf der ganzen Welt geben musste. Das Zugfahren war auch eine Sache für sich. Wenn wir dann mal ein Frauenabteil gefunden hatten, in dem ein buntes Treiben von Businessfrauen bis hin zu traditionell Sari tragenenden Frauen herrschte und wo Schmuckverkäufer ihre Waren anpriesen, hatten wir viel zu sehen. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Zuges. Die Stadt zog an uns vorbei, Slums schmiegten sich an beiden Seiten der Gleise, ihre Bewohner nur einige handbreit von uns entfernt. Alltägliches Leben spielte sich dort ab und ich empfand es als das Normalste der Welt. Eine Zugfahrt in den Süden der Stadt dauerte eine dreiviertel Stunde von Bandra aus, das zentral gelegen einer der "beliebteren" Stadtteile zu sein scheint. Mumbai ist wirklich riesig und von einem Ort zum anderen zu kommen, stellte sich manchmal als schwierig und sehr anstrengend heraus. Wenn Jana und ich dann nur noch durch die Straßen schlurften, musste ein Chai her, der uns wieder aufputschte. Dann waren wir wieder voller Energie und stürzten uns erneut euphorisch ins Stadtleben der 16-Millionen Stadt.

In Mumbai hatte ich eine wunderschöne Zeit mit Jana, an die ich mich gerne zurück erinnern werde. Und auch zurückkehren möchte ich in die Stadt, die mich fasziniert wie kaum eine andere.



Freitag, 4. Januar 2013

happy merry christmas!

WEIHNACHTEN!
Also ja so groß wie es jetzt geschrieben ist, war es auch nicht. Nachdem ich in der Schule beim Austeilen von Chocolates von den Kindern umringt und erst wieder frei gelassen worden bin als alles alle war, konnte Weihnachten beginnen. Übrigens heißt hier alles, was auch nur ansatzweise süß ist "chocolates", auch wenn die wenigsten Bonbons wirklich Schokolade enthalten ;)
Nach der Schule bin ich zu Jana nach Gangolli, ins nächste Dorf, gefahren. Dort haben wir zur großen Freude der Kinder ein Lebkuchenhaus gebaut, was Papa mir geschickt hatte. Danke! Es ist super angekommen. Während Jana und ich ein bisschen planlos die Platten zu einem Haus zusammenzufügen versuchten, kamen neugierige Nachbarn vorbei und beäugten die komische german chocolate. Als es dann aber doch wie ein Haus aussah, war Janas Gastschwester Veena aber auch begeistert dabei, das Haus zu dekorieren. "First make the house, then photo, then eat!" Zwar waren alle skeptisch, aber probierten es dann doch gerne.
Danach machten Jana und ich noch einen langen Strandspaziergang und legten uns in eines der Fischerboote am Strand. Wir schauten in den Himmel und suchten nach Sternschnuppen. Wieder zu Hause zündeten wir ein paar Kerzen an und lagen in Janas Zimmer auf dem Boden bis wir einschliefen.
Ein sehr schönes Weihnachten, wenn auch komplett anders als ich es sonst gewöhnt bin.
Am 25. Dez kam ich nach Hause, wo meine Aunty und Deryl schon angefangen hatten, wild zu kochen. Das Essen war wirklich ein Traum: Chicken Biriyani. Das ist besonderer Reis mit Cashew Kernen und Rosinen und dazu Chicken, Salat und Curry. Ich glaube, das war das beste, was ich in diesem Haus je gegessen habe. Und das allerbeste daran war, dass sie so viel gemacht hatten, dass wir davon noch sooo viele Tage essen konnten ;)

SCHOOLDAY!
Schon zwei Wochen vor dem großen Tag wurde kein Unterricht mehr gemacht. Nur noch "dance practise" "nataka practise"(Theater) und "decorations". Die gesamte Schule stellte ein Programm auf die Beine, was dann zum Schoolday aufgeführt werden sollte. Am 27. war es dann endlich so weit. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich einen Sari an! Die Lehrerinnen hatten vorgeschlagen, dass wir doch am Schoolday alle den gleichen Sari tragen sollten, da sagte ich natürlich nicht nein, hatte dann aber doch so meine Problem an besagtem Tag den Sari zu tragen. Zuerst einmal ist es unglaublich kompliziert dieses lange Stück Stoff so um mich rumzuwickeln, dass es halbwegs gut aussieht und auch nicht gleich wieder runterfällt. Zum Glück halfen mir Aunty und Deryl. Das nächste Problem war das Laufen, nur ganz kleine Schritte und bloß nicht auf den Sari drauftreten.Treppensteigen war das Schlimmste. In der Schule angekommen, begrüßten mich alle so überschwänglich und beteuerten mir, dass ich wunderschön aussehe. Das brauchte ich in dem Moment auch, da ich den Sari am liebsten wieder sofort ausgezogen hätte. ;) Ich zog noch mehr als sonst die Blicke auf mich und konnte immer nur freundlich lächelnd da stehen und winken. Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich an den Sari und fand es sogar ganz angenehm, ihn zu tragen. Aber als ich ihn dann wieder ausziehen durfte, war ich aber doch ganz froh :D
Der Schoolday an sich war durch lange langweilige Kannada-Reden langweilig und sehr lang. Die Kinder haben zwar super getanzt, aber am Ende war das ganze Publikum ,und die Kinder wahrscheinlich auch, so müde, dass alle nur noch nach Hause wollten.

SILVESTER!
Dieses Silvester war definitiv mal was anderes. Jana und ich wurden von einem Freund von Janas Gastbruder Prashanth zum Essen eingeladen. Dieses ist nämlich seit kurzem stolzer Besitzer eines Chicken Shops in Gangolli - Viju Chicken Gangolli. Viju bereitete für uns und sieben seiner Freunde ein so leckeres Essen, das war sogar noch besser als das zu Weihnachten. Wir saßen mit den ganzen Indern auf dem Dach und hatten so unserem Spaß. Um Mitternacht gab es einen Kuchen weil einer der Freunde Geburtstag hatte... Wir haben ausgelassen gefeiert, gelacht, getanzt und gesungen. Später sind wir noch zum Strand gegangen, wo andere Leute ein Feuer gemacht hatten. Es war also ein rundum schönes Silvester...

Was es sonst noch so zu sagen gibt:
Ich wurde von einem meiner Schüler gefragt, ob "merry" christmas ein "german word" sei.
Gestern habe ich meinen ersten Heiratsantrag bekommen von einem Typen, den ich nicht kannte, der aber wirklich niedergeschlagen war, als ich sein Angebot dankend ablehnte.
Heute habe ich mich mit einem kleinen Jungen komplett nur auf Kannada unterhalten *stolz sei*
Heute morgen gab es schon wieder Banana Buns, ich kann einfach nicht genug von denen bekommen ;) ...
Einer meiner Schüler hat mir sehr ernsthaft erklärt, dass ich Nudelhaare hätte und das käme daher, weil ich so viele Nudeln esse. hahhaha
Ich habe mittlerweile schon richtige indische Lieblingslieder, die ich immer rauf und runter höre und singe, so gut ich das kann...

Ich hoffe, auch Ihr hatte schöne Weihnachten und seid gut ins neue Jahr gekommen?!
Die allerwärmsten Grüße aus meinem liebsten Indien!
Tata
EureTani