Situationen können sich innerhalb nur weniger Sekunden verändern. Meist
kann sich später keiner mehr so richtig daran erinnern, wie es dazu kam. Im
einen Moment ist es noch eine lustige ausgelassene Stimmung, im nächsten
Augenblick herrscht Unsicherheit und Angst.
Hier nun meine Erfahrung aus dem indischen Krankenhaus, die ich
niemandem wünsche. Jetzt fallt aber nicht gleich vom Stuhl. Im Nachhinein ist
die Geschichte ziemlich lustig, also macht Euch keine Sorgen. Mir geht es
wieder blendend.
Es war ein ganz normaler Nachmittag. Ich saß mit Harish auf dem Sofa und
probte mit ihm sein Interview für die Visabeantragung. Nebenbei steckte ich ein
Top ab, um es ein wenig abzuändern. Nach einer Weile wurde das Interview immer
haarsträubender und Jyothi, die in der Küche herumwerkelte, und ich lachten
herzlich über die Antworten Harishs. Als er dann schließlich mit ernster Miene
erklärte, dass sein Vater und mein Vater eigentlich beste Freunde seien, konnte
ich mich vor Lachen nicht mehr halten. Und da geschah es. Ich verschluckte die
Stecknadel, die ich mit meinen Zähnen festhielt.
Ich merkte wie sie in meinem Hals hinunter glitt. Anfangs versuchte ich
sie noch herauszuwürgen. Nachdem aber alle Versuche vergeblich waren und ich
mittlerweile ein wenig Beunruhigung ob der spitzen Nadel in meinem Körper
verspürte, beschlossen wir ins Krankenhaus zu fahren.
Die Notaufnahme des Manipal Hospitals, das nur wenige Minuten von
unserer Wohnung entfernt war, war relativ leer. Und schon nahm sich eine nette
Schwester meiner an, die halb erschrocken, halb belustigt auf die Nadel in
meiner Hand schaute, als ich ihr erklärte, dass ich genau solch eine
verschluckt hatte.
Sie brachte mich zum Röntgen. Auch der Arzt dort schaute mich verwundert
an und der Vater einer kleinen Patienten deutete auf mich und sagte "Sieh
mal, sie hat eine Nadel verschluckt, das ist noch schlimmer als bei dir".
Ich lächelte dem Mädchen freundlich zu, das mich nur mit großen Augen ansah.
Harish und Ranju warteten rechts und links von mir sitzend auf den Arzt,
der uns anhand der Röntgenbilder erklären sollte, wie es weitergehen sollte.
Ich war nervös, aber Harish versuchte mich scherzend zu beruhigend.
Endlich kam der Arzt und sagte, es sei ziemlich ernst, weil die Nadel so
spitz sei und sie mittlerweile im Magen war. Sie könnte jede Art von Schaden
anrichten und er würde jetzt den Chirurgen kontaktieren. Mir war mittlerweile
ganz schlecht vor Angst, was der Arzt wahrscheinlich in meinem Gesicht sah. Er
sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, was mir nicht leicht fiel, da sein
Gesicht genau meine Beunruhigung widerspiegelte.
Eine Weile später wurden wir in ein anderes Krankenhaus geschickt, weil
der Gastrologe, der versuchen sollte, die Nadel mit einer Endoskopie zu
entfernen, nicht erreichbar war.
Kurz nach halb zwölf kamen wir im anderen viel größeren und
unheimlicheren Krankenhaus an. Dort kümmerte sich niemand so richtig um mich
und als dann doch eine junge Ärztin mit unglaublich langen Haaren mit mir
sprach und mir mitteilte, dass ich nach der Gastroendoskopie noch einen ganzen
Tag lang dort bleiben sollte, fühlte ich mich wirklich schlecht. Ich hatte
weder Schmerzen noch irgendwelche anderen Beschwerden, nur Angst. Ich war
übrigens vorher noch nie im Krankenhaus gewesen, jedenfalls nicht für eine
Behandlung. Mein Gefühl gegenüber Krankenhäusern, dass man dort so wenig Zeit
wie möglich verbringen sollte, wenn es sich vermeiden ließ, verstärkte sich je
länger ich dort war. Der Gastrologe sah mich noch nicht einmal an, als er mit
uns darüber sprach, was nun zu tun war, obwohl ich ihn wohl besser verstand als
Harish oder Ranju.
Erneut machten sie Röntgenaufnahmen und an der Scheibe drückten sich
fünf weitere Ärzte die Nasen platt. Als ich wieder unnötiger Weise in den
Rollstuhl komplementiert worden war, fragte mich einer von ihnen spöttisch, wie
ich denn eine Stecknadel verschluckt haben konnte. Ich schaute in sein
grinsendes Gesicht und sagte mit todernster Stimme "I swallowed it
ACCIDENTLY" Blöder Arzt, ha ha sehr witzig. Mir war überhaupt nicht zum
Scherzen zumute und ich hatte auch keine Lust, es noch tausend anderen Leuten
zu erklären. Ich war eher mit meiner Angst beim Gedanken an die bevorstehende
Endoskopie beschäftigt.
Ich hatte keine Zeit mehr mit Harish und Ranju zu reden. Sie hätten mir
möglicherweise ein wenig meiner Angst nehmen können. Die Endoskopie war
schrecklich, die ganzen 20 Minuten über, die mir wie mehrere Stunden vorkamen,
hoffte ich, dass es endlich vorbei sein würde. Abgesehen davon, dass es nicht
angenehm war, einen fetten Schlauch in den Hals geschoben zu bekommen,
beunruhigten mich mehr die Kommentare der Ärzte. Der leitende Arzt ließ
mehrmals verlauten "OH MY GOD!". Das heiterte mich so richtig auf.
Nach dem, was ich mitbekam, hatten sie die Nadel dreimal gefasst, sie aber
wieder fallengelassen. Das lief dann so ab, wie bei einem Sportevent.
"Now catch it!" -"come on, come on! Yeah, I got
it..." Freudenrufe der Umstehenden. Gespannt hatten alle ihre Augen auf
den Bildschirm geheftet. "slowly slowly, come on!" - "Uuuh
SHIT!" Die Zuschauer stöhnten auf, der Catcher wischte sich den Schweiß
von der Stirn.
Ich war ein einziges Nervenbündel. Warum ließ der blöde Arzt die Nadel
immer wieder fallen und schlimmer noch, warum sagte der andere Arzt ständig Oh
my god. Ich war ganz schön sauer auf ihn, konnte er das mal lassen. Das trug
nicht gerade zur Besserung meiner Stimmung bei.
Beim vierten Versuch schafften sie es endlich und ich war erleichtert
diesen Schlauch endlich loszuwerden. Als sie sich alle aufgeregt über ihre
geleistete Arbeit unterhielten und sich gegenseitig auf die Schultern klopften,
war ich doch ein bisschen stolz auf sie. Der Arzt meinte nur zu mir "God
bless you, it´s done". Anscheinend war es komplizierter gewesen als sie angenommen
hatten.
Ich war zwar froh, dass die Nadel endlich draußen war, aber auch mit den
Nerven ziemlich am Ende. Ich konnte kaum sprechen und Hari und Ranju machten
sich Sorgen, dass irgendetwas schief gegegangen war. Mit schwacher Stimme sagte
ich nur zu Harish "ich will nicht hier bleiben!" Zum Glück
veranlasste der Arzt meine Entlassung.
Nun kam es mir nicht mehr allzu schlimm vor, dass sich alle darüber
lustig machten. Ich konnte zwar immer noch nicht darüber lachen, als sie
sagten, das sei eine sehr teure Stecknadel und ich solle sie unbedingt
aufheben. Ich war einfach nur froh, dass es vorbei war.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen