Montag, 16. Dezember 2013

indisches Frühstück



Da ich versuchen will, Euch einen möglichst umfassenden Einblick in das indische Leben zu geben, muss ich nun auch einen Blogeintrag dem indischen Frühstück widmen.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich vor über einem Jahr auf dem Vorbereitungsseminar für die weltwärts-Zeit verzweifelt rauszufinden versuchte, was die Inder zum Frühstück essen. Ich konnte mir einfach keine Vorstellung davon machen, wie von so vielem anderen auch nicht. Die Leute, die ich dazu befragte, gaben mir nur wenig befriedigende Antworten und Rumgedruckse.
Also versuche ich nun mein Glück, es Euch zu erklären. Jetzt im Nachhinein sehe ich durchaus auch wie schwierig das ist. Verzeiht mir daher, wenn Ihr diesen Eintrag auch ein bisschen rumgedruckst findet.
Zuerst einmal ist das indische Frühstück selten süß und auch hier können die Inder oft nicht auf ihren geliebten Reis verzichten. Es gibt Dosa, das sind Fladen aus Reismehl und Wasser. Entweder gibt es dazu Sambar, eine Soße aus Gemüse, oder Chutney, eine breiartige Masse aus Kokusnuss, Gewürzen und Wasser. Meine Aunty hat mir damals sogar manchmal Fisch Curry dazu serviert. Dosa gibt es in vielen verschiedenen Arten. Je nachdem, was noch in den Dosateig gemischt wird, sind sie dick, süß, grün oder andersartig. Außerdem können sie zu Masala Dosa gerollt mit einer Kartoffel-Zwiebel-Matsche gefüllt werden. Oder als Paper Dosa weit über den Tellenrand hinausreichen. Im Onion Dosa findet man manchmal kaum noch das eigentliche Dosa vor lauter Zwiebeln. Es gibt wie gesagt viele Variationen.
Des Weiteren gibt es noch Idly. Das sind fluffige Reisbällchen, die aus dem gleichen Teig wie Dosa bestehen und gedämpft werden. Auch davon gibt es verschiedene Arten, die sich vor allem in der Konsistenz unterscheiden. Dazu isst man das Gleiche wie zu Dosa: Sambar oder Chutney. Idly gibt es meist in Kombination mit Wada. Das sind Reis-Kokusnuss-Ringe, die in einem Teigmantel fritiert werden. Tatsächlich sehen sie aus wie Donouts, mit einem Loch in der Mitte.
Außerdem gibt noch Puri, Weizenfladen fritiert, sodass sie sich aufblähen. Auch dazu Sambar oder Chutney. Oder beides. Diese sind ziemlich fettig.
Etwas, dass ich ganz besonders mag, sind Buns. Runde, süße, handgroße Fladen. Gemacht aus Joghurt, Weizen und noch anderen Dingen, von denen ich keine Ahnung hab. Dann fritiert gehen sie genauso auf wie Puri, sodass sie kugelrund sind. Besonders köstlich sind Banana Buns.
Meine Aunty hat manchmal kleine feste Reis-Kokusnuss-Bällchen gemacht, die sie Mudly nannte. Aber ich hab diese woanders auch schon unter anderem Namen gegessen. Sie bestehen fast nur aus Kokusnuss und bei meiner Aunty haben wir die immer in Tee eingetunkt.
Es gibt noch Avalakki, ein Gemisch aus flachgepressten Reisflocken, Kokusnuss und Jaggery (einer braunen Masse, vermutlich aus Zuckerrohr, die unglaublich süß ist und für viele süße Spezialitäten hier verwendet wird). Diese Zutaten werden gemixt und wenn das Avalakki dann zu trocken ist, kippt man einfach ein bisschen Tee dazu. Das hab ich jedenfalls immer so gemacht.
Etwas ähnliches wie Avalakki ist Uppittu. Das ist ein wenig wie Grieß, wahrscheinlich ist es aber wieder irgendeine Abwandlung von Reis. Auch Uppittu kann auf verschiedene Arten zubereitet werden.
Und schlussendlich essen manche auch einfach Reis zum Frühstück. Auf verschiedene Arten zubereitet und in Konsistenz, Geruch , Farbe und Namen varierend. Reisbath, Puliogare und vieles mehr. Natürlich kann man auch das Gleiche wie zum Mittag und Abendessen verspeisen: Annasambar (Reis und Sambar).
Das allerwichtigste für viele Inder ist allerdings der Tee, der zu 50 % aus Zucker, zu 35% aus Milch oder Milchpulver und zu 15% aus schwarzem Tee zu bestehen scheint. Verfeinert werden kann er mit allerhand Gewürzen: Ingwer, Lemongrass oder Kardamom.
Ich hoffe, Ihr könnt Euch jetzt so einigermaßen vorstellen, wie das indische Frühstück aussehen kann. Es gibt bestimmt noch viel mehr, was ich vergessen oder noch nie gesehen habe. Deshalb wird Frühstücken in Indien immer eine aufregende Sache für mich bleiben. 

Sonntag, 8. Dezember 2013

Die Stecknadel


Situationen können sich innerhalb nur weniger Sekunden verändern. Meist kann sich später keiner mehr so richtig daran erinnern, wie es dazu kam. Im einen Moment ist es noch eine lustige ausgelassene Stimmung, im nächsten Augenblick herrscht Unsicherheit und Angst.
Hier nun meine Erfahrung aus dem indischen Krankenhaus, die ich niemandem wünsche. Jetzt fallt aber nicht gleich vom Stuhl. Im Nachhinein ist die Geschichte ziemlich lustig, also macht Euch keine Sorgen. Mir geht es wieder blendend.
Es war ein ganz normaler Nachmittag. Ich saß mit Harish auf dem Sofa und probte mit ihm sein Interview für die Visabeantragung. Nebenbei steckte ich ein Top ab, um es ein wenig abzuändern. Nach einer Weile wurde das Interview immer haarsträubender und Jyothi, die in der Küche herumwerkelte, und ich lachten herzlich über die Antworten Harishs. Als er dann schließlich mit ernster Miene erklärte, dass sein Vater und mein Vater eigentlich beste Freunde seien, konnte ich mich vor Lachen nicht mehr halten. Und da geschah es. Ich verschluckte die Stecknadel, die ich mit meinen Zähnen festhielt.
Ich merkte wie sie in meinem Hals hinunter glitt. Anfangs versuchte ich sie noch herauszuwürgen. Nachdem aber alle Versuche vergeblich waren und ich mittlerweile ein wenig Beunruhigung ob der spitzen Nadel in meinem Körper verspürte, beschlossen wir ins Krankenhaus zu fahren.
Die Notaufnahme des Manipal Hospitals, das nur wenige Minuten von unserer Wohnung entfernt war, war relativ leer. Und schon nahm sich eine nette Schwester meiner an, die halb erschrocken, halb belustigt auf die Nadel in meiner Hand schaute, als ich ihr erklärte, dass ich genau solch eine verschluckt hatte.
Sie brachte mich zum Röntgen. Auch der Arzt dort schaute mich verwundert an und der Vater einer kleinen Patienten deutete auf mich und sagte "Sieh mal, sie hat eine Nadel verschluckt, das ist noch schlimmer als bei dir". Ich lächelte dem Mädchen freundlich zu, das mich nur mit großen Augen ansah.
Harish und Ranju warteten rechts und links von mir sitzend auf den Arzt, der uns anhand der Röntgenbilder erklären sollte, wie es weitergehen sollte. Ich war nervös, aber Harish versuchte mich scherzend zu beruhigend.
Endlich kam der Arzt und sagte, es sei ziemlich ernst, weil die Nadel so spitz sei und sie mittlerweile im Magen war. Sie könnte jede Art von Schaden anrichten und er würde jetzt den Chirurgen kontaktieren. Mir war mittlerweile ganz schlecht vor Angst, was der Arzt wahrscheinlich in meinem Gesicht sah. Er sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, was mir nicht leicht fiel, da sein Gesicht genau meine Beunruhigung widerspiegelte.
Eine Weile später wurden wir in ein anderes Krankenhaus geschickt, weil der Gastrologe, der versuchen sollte, die Nadel mit einer Endoskopie zu entfernen, nicht erreichbar war.
Kurz nach halb zwölf kamen wir im anderen viel größeren und unheimlicheren Krankenhaus an. Dort kümmerte sich niemand so richtig um mich und als dann doch eine junge Ärztin mit unglaublich langen Haaren mit mir sprach und mir mitteilte, dass ich nach der Gastroendoskopie noch einen ganzen Tag lang dort bleiben sollte, fühlte ich mich wirklich schlecht. Ich hatte weder Schmerzen noch irgendwelche anderen Beschwerden, nur Angst. Ich war übrigens vorher noch nie im Krankenhaus gewesen, jedenfalls nicht für eine Behandlung. Mein Gefühl gegenüber Krankenhäusern, dass man dort so wenig Zeit wie möglich verbringen sollte, wenn es sich vermeiden ließ, verstärkte sich je länger ich dort war. Der Gastrologe sah mich noch nicht einmal an, als er mit uns darüber sprach, was nun zu tun war, obwohl ich ihn wohl besser verstand als Harish oder Ranju.
Erneut machten sie Röntgenaufnahmen und an der Scheibe drückten sich fünf weitere Ärzte die Nasen platt. Als ich wieder unnötiger Weise in den Rollstuhl komplementiert worden war, fragte mich einer von ihnen spöttisch, wie ich denn eine Stecknadel verschluckt haben konnte. Ich schaute in sein grinsendes Gesicht und sagte mit todernster Stimme "I swallowed it ACCIDENTLY" Blöder Arzt, ha ha sehr witzig. Mir war überhaupt nicht zum Scherzen zumute und ich hatte auch keine Lust, es noch tausend anderen Leuten zu erklären. Ich war eher mit meiner Angst beim Gedanken an die bevorstehende Endoskopie beschäftigt.
Ich hatte keine Zeit mehr mit Harish und Ranju zu reden. Sie hätten mir möglicherweise ein wenig meiner Angst nehmen können. Die Endoskopie war schrecklich, die ganzen 20 Minuten über, die mir wie mehrere Stunden vorkamen, hoffte ich, dass es endlich vorbei sein würde. Abgesehen davon, dass es nicht angenehm war, einen fetten Schlauch in den Hals geschoben zu bekommen, beunruhigten mich mehr die Kommentare der Ärzte. Der leitende Arzt ließ mehrmals verlauten "OH MY GOD!". Das heiterte mich so richtig auf. Nach dem, was ich mitbekam, hatten sie die Nadel dreimal gefasst, sie aber wieder fallengelassen. Das lief dann so ab, wie bei einem Sportevent.
"Now catch it!" -"come on, come on! Yeah, I got it..." Freudenrufe der Umstehenden. Gespannt hatten alle ihre Augen auf den Bildschirm geheftet. "slowly slowly, come on!" - "Uuuh SHIT!" Die Zuschauer stöhnten auf, der Catcher wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Ich war ein einziges Nervenbündel. Warum ließ der blöde Arzt die Nadel immer wieder fallen und schlimmer noch, warum sagte der andere Arzt ständig Oh my god. Ich war ganz schön sauer auf ihn, konnte er das mal lassen. Das trug nicht gerade zur Besserung meiner Stimmung bei.
Beim vierten Versuch schafften sie es endlich und ich war erleichtert diesen Schlauch endlich loszuwerden. Als sie sich alle aufgeregt über ihre geleistete Arbeit unterhielten und sich gegenseitig auf die Schultern klopften, war ich doch ein bisschen stolz auf sie. Der Arzt meinte nur zu mir "God bless you, it´s done". Anscheinend war es komplizierter gewesen als sie angenommen hatten.
Ich war zwar froh, dass die Nadel endlich draußen war, aber auch mit den Nerven ziemlich am Ende. Ich konnte kaum sprechen und Hari und Ranju machten sich Sorgen, dass irgendetwas schief gegegangen war. Mit schwacher Stimme sagte ich nur zu Harish "ich will nicht hier bleiben!" Zum Glück veranlasste der Arzt meine Entlassung.
Nun kam es mir nicht mehr allzu schlimm vor, dass sich alle darüber lustig machten. Ich konnte zwar immer noch nicht darüber lachen, als sie sagten, das sei eine sehr teure Stecknadel und ich solle sie unbedingt aufheben. Ich war einfach nur froh, dass es vorbei war. 

Dienstag, 19. November 2013

Zur Post


Heute war ich auf dem Weg zur Post und während ich mich so in meiner wohlbekannten Umgebung umsah, wurde mir klar, dass mir das alles vor einiger Zeit selbst sehr fremd war. Dass ich nicht immer so selbstverständlich durch Indiens Straßen gegangen war. Dass es eine Zeit des Wunderns und Staunens gab. Dass meine Augen mittlerweile indisch geworden sind. Und plötzlich dachte ich an Euch zu Hause in Deutschland und da war es wieder, das Staunen, das Wundern und das Bemerken kleinster Details. Nichts war mehr selbstverständlich.
Und so will ich mich nun mit Euch nochmal auf den Weg zur Post zu machen.
Ein später Nachmittag in einer indischen Stadt. Die Schule ist aus, Kinder spielen auf der Straße. Es ist angenehm warm. Vor unserem Haus treffe ich auf Sindhu. "Hi akka, Oota aytha?", nur in Indien fragen sie, ob man gegessen hat statt sich nach dem Wohlbefinden zu erkundigen. Das ist wohl gleichwertig. Sindhu nickt zufrieden als ich sie das Gleiche frage.
Ich biege nach rechts. Vor dem Hotel, wo wir oft Sambar kaufen, spielen die beiden Söhne des Besitzers. Den älteren der beiden sehe ich oft Zwiebeln schneiden oder Puris fritieren, Hotel heißt in Indien soviel wie Cantine. Der Jüngere ist der kleine Raja (König) unserer Straße. Mit seinen 3 Jahren, dem süßen Gesicht und seinem selbstbewussten Charme verzaubert er ausnahmslos jeden. Ich grüße ihn übertrieben "Hiiiiiiii Dhigaaaan!!!" Er grinst und ahmt meinen Gruß nach.
Am Gemüse-Shop vorbei biege ich an der Ecke mit der Cafe Junction ab, einem Shop an dem man zu jeder Tageszeit Männer ihren Chai schlürfen sehen kann. An der Garage vorbei, wo sie jegliche Schmiedearbeiten verrichten. Der Besitzer erkennt mich und nickt mir zu, er hat uns etliche Male geholfen, als das Kabel aus unserem Stromzähler rausgefallen oder durchgebrannt war. 
Diese Straße ist belebter als unsere. Rikschas, Motorräder und Autos quetschen sich aneinander vorbei, nicht ohne das obligatorische Hupen. Auf eine Kreuzung zufahrend bedienen sie statt der Bremse die Hupe. So etwas wie eine Ordnung scheint es nicht zu geben, die lauteste Hupe gewinnt.
Rechts und links leuchten die bunten Schilder der Shops. Manche Läden sind zugeklastert mit roten und gelben Vodafone, airtel und idea Schildern, die zum sim-Karten-Aufladen auffordern. Dahinter verbergen sich dann doch mehr als nur Handytarife. Diese Shops haben oft alles von Zucker über Seife bis hin zu Bleistiften.
Von der anderen Straßenseite weht mir ein köstlicher Geruch entgegen. Ein geschickter Koch versorgt einige Umstehende mit würzigen Snacks von seinem Straßenwagen. Der Geruch lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, obwohl ich nicht ausmachen kann, was er dort verkauft. Leider habe ich keine Zeit, nachzusehen, die Post macht nämlich schon um 5 zu.
Als ich den Blick an den Häusern empor schweifen lasse, begegne ich den Blicken zweier Frauen, die sich angeregt auf dem Treppenansatz unterhielten und mir nun neugierige Blicke zuwerfen. Ich lächle leicht, sie erwidern mein Lächeln. Mein Blick zieht weiter über bunte zum Trocknen aufgehängte Wäsche zu einer großen Werbetafel, auf der Shahrukh Khan Wandfarbe anpreist. Komisch, letztens habe ich ihn noch auf einem Mangosaft-Trinkpäckchen grinsen sehen.
Die Straße macht einen kleinen Knick und mündet in einen holprigen Sandpfad, auf dem ein verstruppelter Hund meinen Weg kreuzt. Er scheint keine Notiz von mir zu nehmen und während ich in Deutschland manchmal die Straßenseite wechsle, wenn mir ein Hund entgegen kommt, tue ich es hier dem Hund gleich. Er geht seinen Weg, ich meinen. Indische Hunde sind mir irgendwie lieber als deutsche.
Als ich das Gesicht von Brad Pitt sehe, weiß ich, dass ich fast da bin. Brad schaut mit seinem Hundeblick und kurzen Haaren von einem Aushängeschild eines Friseurs auf mich hinab. Das Bild hat schlechte Qualität und ist vermutlich aus den neuzigern. Gleich daneben ein ebenso vertrautes Gesicht. Britney Spears mit ihrem gekünstelten Lächeln und einer blonden Mähne, die keiner Inderin so recht stehen würde. Anders als das Bild von Britney, mag ich das Bild von Brad "Ach hi Brad, schön dich zu sehen!"
Die Post ist beunruhigend leer. Es ist doch erst four-thirty, wo sind denn alle? Doch da am Briefmarkenschalter sitzt die mir schon bekannte Beamtin in ihrem üblichen braunen Sari, ihrer Uniform. Sie lächelt, nimmt meinen Brief, legt ihn auf die Wage und sagt "Aid Rupai!" Dabei macht sie mit der Hand eine Bewegung wie ein zuschnappendes Krokodil. Sie ist sich offenbar nicht sicher, ob ich verstanden habe, dass ich 5 Rupien zu zahlen habe. Ich habe aber auch meine Zweifel, ob jemand, der die Zahlworte nicht kennt, versteht, dass das mit fünf Fingern zuschnappende Krokodil "fünf" heißt. Wie auch immer, ich wackel mit dem Kopf, lege eine 10 Rupien Note auf den Schalter, mache ein verzweifeltes Gesicht und sage mit entschuldigender Miene "change illa". Als ob es meine Schuld wäre, dass ich keine 5 Rupien in Münzen hätte, aber das kommt immer gut an.
Die Briefmarke bestreiche ich unbeholfen mit einem ausrangierten Kugelschreiber, der in einem beschmierten Topf voller Flüssigkleber steckt. Ich hab es bis jetzt noch nie geschafft, mich dabei nicht einzusauen.
Den Brief einsteckend passiere ich den Briefkasten vor der Post und mache mich auf den Rückweg. Nun wieder mit indischen Augen. Eigentlich ist das alles doch recht unspektakulär. Normal halt. 

Der indische Shop


Hier nun einige Worte zum Phänomen "indischer Shop". Soetwas sollte es auch in Deutschland geben. Klar, meine Mama würde jetzt sagen, das gab es doch früher. Der Tante Emma Laden oder war es Erna? Egal. Hier heißen die Shop-Besitzer weder Emma noch Erna, sondern eher Prakash, Anil oder Roshan und ich nehme an, dass ihre Shops sich auch sonst in Einigem unterscheiden.
Meist sind sie nur ein paar Quadratmeter groß, gerade so dass man sich nur einmal um sich selbst drehen muss, um an alles heranzukommen. Es gibt naürlich auch größere Luxus-Ausführungen, die wohlmöglich sogar einen Kühlschrank haben.
Diese Shops erkennt man meist schon von Weitem, weil die bunten Chipstüten, die draußen drapiert sind, förmlich schreien "Hallo hier ist ein Shop und hier gibt es alles, was dein Herz begehrt!" Und das kaum übertrieben.
Chips, Snacks, Kekse (meist ist das ganze untere Schaufenster vollgestopft mit Keksen), Schokoriegel, Kaugummi, indisches Gebäck, Zucker, Salz, Mehl, Milch, Milchpulver, Joghurt, Öl, Teigmischungen, Gewürzmischungen, Pickle (die meisten Inder stehen extremst auf Pickle; aus Tomaten, Mango oder Zitrone gemachte sehr sehr saure Matsche, meist rot), getrocknete Früchte, Nüsse, Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch, Chilischoten, Bananen, Zitronen, Petersilie und andere Kräuter, Nudeln, Ghee, Eier, Brot, Saft, Kornflakes, Shampoo, Crémes, alle möglichen Kosmetikartikel, Hygieneartikel, Seife, Schwämme, Schrubber, Lappen, Kerzen, Dochte, Streichhölzer, Räucherstäbchen, Kumkum, Zigaretten (oft einzeln verkauft), Zeitungen, Eimer, Glühbirnen, Stifte, Hefte, Anspitzer, Radiergummis, Regenschirme (natürlich nur während des Monsuns), Prepaid-Aufladung und noch viele andere Sachen, von denen ich entweder nicht den Namen weiß oder sie noch nie gebraucht habe und deshalb nicht mal weiß, dass es sie in den Tiefen eines solchen Shops geben könnte. Das Allerwichtigste sind aber Chocolates (Bonbons), die einen aus Plastikschraubgefäßen anlachen und gerne auch mal als Wechselgeld herausgegeben werden (nebenbei gesagt  auch in großen Supermarktkassen liegen statt 1 und 2 Rupie Münzen von Zeit zu Zeit Chocolates)
Was außerdem größte Freude bereitet ist das Einkaufen in einem solchen Shop. Da fühle ich mich immer in meine Kindheit versetzt. Das ist wie Kaufmannsladen spielen. "Dann nehme ich noch ein halbes Kilo Zucker, zwei Tomaten und ein Trinkpäckchen!"
Ich hab hier schon meinen Lieblingsshop. Die Frau da freut sich immer, wenn ich ein bisschen Kannada rede und strahlt mich immer schon von Weitem an. Bald kann ich bestimmt auch sagen "Das Übliche bitte!" Darauf freue ich mich schon. Hahahahah
Vielleicht hört Ihr meine Begeisterung für diese Art von Shops heraus. Wie schon gesagt, es sollte sie auch in Deutschland geben. Am besten gleich unten in meinem Haus. Der würde dann schön an mir verdienen. 

Dienstag, 12. November 2013

Kushi


In der Zeit, in der ich jetzt schon wieder hier bin, habe ich gelernt , was echte Freude ist. Ich habe das Gefühl, dass es zu Hause kaum noch aufrichtige Freude gibt. Es liegt einfach daran, dass wir alles haben und machen können. Ich habe das Gefühl, dass wir in diesem Überfluss nichts mehr richtig wertschätzen können. Dass unsere Träume an die Grenzen des Unmöglichen stoßen und wir nie mit dem zufrieden sind, was wir haben und immer noch nach Besserem streben. Und in diesem Streben vergessen wir, uns wirklich über Dinge zu freuen. So ging’s mir jedenfalls.
Diese pure Freude habe ich ein paar Tage nach Deepavali erlebt. Ranju erzählte mir von ihrem Wunsch, irgendwann mal zu KFC zu gehen. Ich fragte sie, warum sie sich diesen Wunsch noch nicht erfüllt hatte. Nach allem, was sie gehört hatte, war KFC für sie zu einer Art Mythos geworden. Aber sie traute sich nicht einfach so dorthin zu gehen, in diese andere Welt, in der sie sich selbst so fremd fühlte. Als ich ihr vorschlug, am Abend mit ihr und Divya dem Mythos auf den Grund zu gehen, lehnte sie verlegen ab. "Ich bin doch nur ein Mädchen vom Dorf, das ist da alles zu schick für mich"
Aber anscheinend ließ sie diese Idee nicht mehr los und so machten wir uns zu dritt an einem Abend auf zu KFC, das nur einen Katzensprung entfernt an der Hauptstraße gelegen war. Ranju und Divya waren ganz aufgeregt und machten sich extra hübsch. Sie waren so voller Vorfreude, dass sie selbst mich damit ansteckten. Ich war selbst noch nie bei KFC gewesen und nun hatte auch ich das Gefühl, es sei etwas besonders Außergewöhnliches.
"Tanja, du gehst vor!" Auch ich war ein wenig verlegen als wir das fast leere Restaurant betraten. Aber als die Frau am Schalter freundlich unsere Bestellung aufnahm, legte sich dieses Gefühl. Während wir auf unser Essen warteten, suchten Ranju und Divya gewissenhaft unseren Tisch aus. Es sollte alles perfekt sein und schließlich saßen wir an einem Ecktisch und genoßen das Chicken und den kalten Kaffee, der eine besondere Attraktion für die beiden war.
Auf dem Weg nach Hause stellten wir zwar fest, dass das Chicken nichts großartig besonderes war, aber es war immer hin Kentucky Fried Chicken. Den ganzen restlichen Abend gab es kein anderes Thema und allen Anrufern wurde ausgiebig von dem Abenteuer KFC erzählt. Ich freute mich darüber, dass ich den beiden eine Freude gemacht hatte.
Ich fragte sie, ob sie glücklich seien. Die beiden unterbrachen ihr aufgeregtes Wasserfallgerede, sahen mich mit leuchtenden Augen an und sagten nur  "yes, full kushi!" 

Das Lichterfestival


Es fühlte sich an wie Weihnachten aus meiner Kindheit. Tagelang war einziges Gesprächsthema das große Fest und mit Freude erwartete ich, dass es endlich soweit sein würde.
Ich hatte Deepavali (Deepa-Kerze, also Lichterfestival) schon letztes Jahr miterlebt, aber am gleichen Tag hatten wir unsere erste DanceShow, weshalb ich das Fest nur vom Fenster eines Busses aus bewundern konnte. Diesmal sollte es eine ganz andere Erfahrung werden. Ranju, Harishs Schwester, und Divya, mit denen ich im Moment hier in Bangalore wohne, steckten mich mit ihrer Vorfreude an. Deepavali ist eines der größten Hindu-Festivals und so fühlte es sich für mich auch an. Am Abend vorher ließ ich mir erklären, wie sie zu Hause mit ihren Familien das Fest feiern würden.
Ganz früh morgens wird der ganze Körper mit Öl eingerieben und danach wird ein heißes Bad genommen. Danach werden alle gesegnet mit Kerzen und Kumkum und dazu gibt es Gulab Jammun, eine Süßigkeit. Zu Deepavali tragen alle neue Kleider und am Abend wird Feuerwerk gezündet. Sobald es dunkel wird, werden außerdem um das ganze Haus herum Kerzen aufgestellt, was dem Fest seinen Namen gibt.
Ranju ist keine Frühaufsteherin und Gulab Jammun mag sie auch nicht. Also wandelten wir das ein bisschen ab. Nach einer kurzen Dusche machten wir uns beide fertig, nicht mit neuen, aber den schönsten Kleidern, die wir hatten. Zuerst machten wir uns auf dem Weg ins Krankenhaus. Die alte Vermieterin von Ranju hatte ein Kind bekommen, das wir nun bestaunen und zu dem wir die Eltern beglückwünschen wollten. Auf dem Rückweg kauften wir Blumen für Gott und dekorierten den Schrein zu Hause entsprechend. Anlässlich des Feiertages schmückten auch wir uns mit Blumen. Ich liebe es, wenn indische Frauen Blumen im schwarzen gestriegeltem Haar haben. Dieser Duft von Jasmin wird mich immer an die Schönheit der Inderinnen erinnern.
Außerdem beschlossen wir zur Feier des Tages Payasa zu machen. Manche von Euch haben mich vielleicht schon von Payasa schwärmen hören, aber ich werde nie müde mit Begeisterung von dieser Köstlichkeit zu sprechen. Payasa ist eine Art Brei, bestehend aus Milch, feinen Nudeln, einer Unmenge Zucker, Cashewkernen, Rosinen, einer Art Sago und Kardamom. Es gibt unendlich viele Rezepte und ich habe unendlich viele davon schon probiert. Als quasi-Spezialist konnte ich also die Güte unseres vorzüglichen Payasas durchaus schätzen :) Mmh schon allein der Gedanke daran lässt mir wieder das Wasser im Mund zusammenlaufen. Hahaha.
Später kamen noch Freunde vorbei, mit denen wir einen schönen Nachmittag verbrachten. Als sie sich auf den Heimweg gemacht hatten und es allmählich dunkel wurde, beteiligten wir uns ebenfalls am Feuerwerksspektakel, das bereits am Tag zuvor begonnen hatte. Ranju hatte von ihrem Chef ein paar Wunderkerzen, Fontänen und Feuerkreisel geschenkt bekommen. Zusammen mit den netten Typen aus dem Erdgeschoss zündeten wir diese. Alle wünschten sich "Happy Diwali" und Sweets wurden ausgetauscht. Anscheinend schmeckte ihnen unser Payasa auch, wie gesagt ich kann die Güte von Payasa mittlerweile schon sehr gut einschätzen (in schwelgender Erinnerung an die Payasa-Skala, die ich zusammen mit Jana aufgestellt hatte).
Den restlichen Abend verbrachten wir auf unserem Treppenabsatz, von wo aus wir sowohl das Feuerwerk in unserer Straße als auch die bunten Explosionen am schwarzen Nachthimmel bewundern konnten. Die Bangaloreaner fuhren zu Höchstleistungen auf. Es war keine einzige Sekunde still, der Geruch von Silvester zog durch die Straßen und der Himmel schien nicht genug für die unzähligen Sternenschauer.
Als die Kinder aus der Straße in ihren Betten verschwunden waren, legten die großen Jungs erst richtig los. Unsere neuen Freunde aus dem Erdgeschoss hatten Freunde eingeladen. Die Straße war schon bald erfüllt von ohrenbetäubendem Krachen und herzerschütternden Explosionen und dem ausgelassenen Lachen der Männer, die sich freuten wie kleine Jungs. Es war wirklich witzig, ihnen zuzusehen und sie fühlten sich anscheinend nur noch mehr angestachelt durch die drei Mädchen, die lachend an das Geländer des Treppenabsatzes gelehnt sehr leicht zufriedenzustellende Zuschauer waren.
Mit einem Gefühl, dass ich nur kannte wenn Heiligabend vorbei war. Einerseits große Zufriedenheit, aber auch Traurigkeit, dass es schon vorbei war. Aber genau wie Weihnachten nicht mit Heiligabend vorbei ist, war auch Deepavali noch nicht vorbei.
Am nächsten Tag hatte Ranju frei. Wir verbrachten einen schönen Tag zusammen, schwelgend in Erinnerungen an das Spektakel am Vortag. Am Nachmittag kam Divya dann von der Arbeit und überraschender Weise auch unser neuer Freund Rajesh aus dem Erdgeschoss. Er brachte die Payasa-Schüssel zurück und wir quetschten ihn aus. Wo er herkomme, was er so mache, wie ihm Deepavali gefiele und wer diese ganzen Freunde waren…
Ranju und ich hatten Deepas gekauft, kleine Tonschälchen, die mit Öl gefüllt und einem getränkten Docht angezündet werden konnten. Diese platzierten wir auf unserem Fensterbrett und so war Deepavali perfekt. Mit einer Menge neuer schöner Erinnerungen, ein wenig tauben Ohren und ein paar neuen Freunden war es nicht gerade das traditionelle Deepavali, aber es war unser ganz eigenes. 

Dienstag, 5. November 2013

18. oktober


Mich hat es erwischt. Ich bin krank und habe seit drei Tagen Fieber. Nichts, worüber sich indische Ärzte Sorgen machen. Ich nehme Tabletten, trinke und schlafe viel und pflege mich so gut ich kann. Macht Euch keine Sorgen. Mir geht´s nicht wirklich schlecht, abgesehen von der Schwäche, bin ich topfit. Jedenfalls im Geiste. Ich sehe alles um mich herum und habe das Gefühl die Welt dreht sich langsamer. Die Tage dauern Ewigkeiten, wie in Zeitlupe sehe ich die Menschen in unserer Straße ihren Geschäften nachgehen. Jeder hat etwas Besonderes an sich und fasziniert mich schon allein durch bloße Anwesenheit. Kleinste Details erregen meine Aufmerksamkeit und ich lasse meine Gedanken schweifen, weit hinaus über die Dächer unseres Blocks, über die Grenzen dieser riesigen Stadt.
Wenn ich nicht gerade schlafe und absurde Träume habe, beobachte ich Mister Alfredo wie er Reisstückchen aus unserem Müll fischt. Oder ich freue mich wie seine Kinder auf dem gegenüberliegenden Dach Fangen spielen. Mister Alfredo ist ein Streifenhörnchen. Aber ich habe auch menschliche Freunde ;)
Die Kinder in der Straße kennen mich schon und vom Sehen kenne ich sie auch alle. Manche grüßen mich sogar, wenn ich auf dem Weg zum nächsten Shop bin, um Bananen oder Tea Powder zu kaufen. "Bye Tanyakka" (akka heißt so viel wie große Schwester). Ihr Lieblingsspiel scheint es zu sein, wie irre mit dem einen Fahrrad, das sie haben, die Straße rauf und runter zu sausen, um dann aufgefordert zu werden ihre Fahrerlaubnis zu zeigen. Die imaginere Erlaubnis wird schnell rausgeholt und noch ein paar ebenso imaginere Geldscheine. Dann geht die Fahrt weiter nicht ohne das dazugehörige Motorengeheul. So läuft das also, gut zu wissen.
Es ist nie ruhig. Aber es ist wundervoll. Ich habe das Gefühl mittendrin zu sein. Die sich immer wiederholenden Lieder, die vom Kino gegenüber herübertönen, kann ich mittlerweile auch schon. Das vehemente Klingeln der Glöckchen, wenn im Nachbarhaus morgens und abends Pooja ist (Pooja ist das Gebet der Hindus), ist irgendwie beruhigend. Die Rufe des Muezzins zeigen mir, dass der Tag doch irgendwie voranschreitet. Die Gesprächsfetzen, die ich von der Straße aufschnappe, lassen mich meine wenigen Kannada-Kenntnisse nicht ganz vergessen. Der Verkehrslärm, der von der Hauptstraße herüberschallt erinnert mich daran, dass ich in der Großstadt bin. Das leise Klimpern der Fußkettchen, wenn eine Frau die Straße durchquert, klingt wie Musik für mich. Aber am schönsten ist es, die Kinder reden, spielen und lachen zu hören.

Bald gibt es etwas ueber meine Erlebnisse vom Diwali-Festival zu lesen, einem der groessten Festivals der Hindus... 

bis bald